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#Berlin
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Für Infektionskrankheiten aller Art waren, neben Kriegen, Städte schon immer ein ganz besonders gutes Pflaster. Ob die mittelalterliche Stadt, die sich in der Zeit der Industrialisierung entwickelnden Elendsquartiere der heutigen europäischen Großstädte, welche die vom Land in die Stadt strömenden Menschen aufnahmen, oder die heutigen Slums der boomenden Metropolen in Afrika, Asien und Südamerika: Diese Orte zeigen alle dieselben Symptome: Gestank, Hygienemangel, vermeidbar hohe Kindersterblichkeitsraten und diverse Krankheiten. Gegen diese Zustände traten und treten Generationen von Stadtplaner*innen an. Diese Bemühungen sind heute in unseren Städte meist offen zu sehen, aber manchmal auch nur ganz versteckt zu finden.

Dem Verhältnis von Stadtplanung und Gesundheit gehen wir unter freiem Himmel mit der Diplomingenieurin für Städtebau Katrin Lompscher nach.

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Der Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) ist aus Gerechtigkeitsgründen unumgänglich. Doch wer soll in Zukunft den ÖPNV finanzieren? Die Frage gewinnt zunehmend an Brisanz, da der Finanzierungsbedarf in den nächsten Jahren deutlich steigen dürfte – nicht nur weil der Nahverkehr massiv ausgebaut werden soll, sondern auch, weil verschiedene Akteure ihn ticketfrei gestalten wollen. Die zusätzlichen Finanzierungskosten können nicht nur auf die Bürger*innen abgewälzt werden. Deswegen wird in der Fachwelt in den letzten Jahren verstärkt diskutiert, neue Finanzierungsinstrumente einzuführen. Eine Nahverkehrsabgabe und andere Instrumente, die die sozial-ökologische Mobilitätswende möglich machen, werden in dieser Publikation vorgestellt. Als Beispiele werden die Debatten in Berlin und Bremen dargestellt. Insbesondere das Bremer Beispiel liefert praktische Inspiration: Dort liegt der Vorschlag auf dem Tisch, die Ticketfreiheit über eine Erhöhung der Grundsteuer zu finanzieren. Das hat insbesondere mit der profilierten Nichtregierungsorganisation «Einfach Einsteigen» und mit einer progressiven SPD in Bremen zu tun. In der Hansestadt könnte der Nulltarif in den nächsten Jahren tatsächlich Wirklichkeit werden.

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Eingriffe im Sinne der größeren Flächengerechtigkeit im Verkehr sind möglich und rechtlich zulässig, lautet das Ergebnis dieses Gutachtens. Damit könnte der Umbau von Straßen und Städte mit Vorfahrt für den öffentlichem Nahverkehr, Fahrrad- und Fußverkehr schneller vorangetrieben sowie mehr Platz für Grün, Erholung, Spiel und Begegnung geschaffen werden.

Dies kann durch die Ausweisung autofreier innenstädtischer Zonen gelingen. Umfangreiche Straßenumbauten sind unnötig. Straßen könnten zunächst mit einfachen Pollern für den (Durchgangs-)Verkehr gesperrt, die entsprechenden Zonen mit Verkehrsschildern ausgewiesen werden.

Rebellische Kommunen und Bezirke könnten die Grenzen der Gesetzeslage austesten. Die Rechtslage ist nicht unumstritten und durchaus zu verbessern – aber schon jetzt können Maßnahmen in die Wege geleitet werden. Eines der prominentesten Beispiele hierfür sind die sogenannten Pop-up-Radwegen in Berlin.

Friedrichstraße Berlin-Mitte im September 2020 für Autos gesperrt und als Radweg mit umgebenden Aufenthaltsflächen gestaltet. Foto: Leonhard Lenz, Wikimedia Commons, CC0

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Vom Drehen der Städte

Bürgerentscheide drängen zum Ausbau der Radinfrastruktur

Mai 2020 • Denis Petri

Mobilität, Organisierung, Alternativen, Berlin#Mobilität #Organisierung #Alternativen #Berlin

Auf Deutschlands Straßen dominiert noch immer das Auto. Die Akteure in Politik und Verwaltung konnten oder wollten daran in den vergangenen Jahrzehnten wenig ändern. Deswegen muss die Verkehrswende von unten durchgesetzt werden. Dafür sind der Berliner Radentscheid im Jahr 2015 und die daraus entstandene Changing-Cities-Bewegung mit kommunalen Radentscheiden in ganz Deutschland angetreten. Es geht um lebenswerte Städte, Mobilität für alle und konkreten Klimaschutz. Die Bürger*innen fordern ein, was seit 40 Jahren eine planerische Binsenweisheit ist: die lebenswerte Stadt der kurzen Wege mit sicheren Schulwegen für Kinder, mit einem belebten Einzelhandel und – in einer alternden Gesellschaft immer wichtiger – einer Befreiung vom Angewiesensein aufs Auto. Denn seit Jahrzehnten ist belegt, dass Verkehrsinfrastrukturen genau den Verkehrinduzieren, für den sie geschaffen wurden. Neue Autobahnen führen zu mehr Autoverkehr und damit auch zu mehr Stau, die Eröffnung der Bahnschnellfahrstrecke Berlin-München hat binnen kürzester Zeit voll besetzte Züge produziert. Anders gesagt: Für mehr Radverkehr müssen wir mehr (sichere und bequeme) Radwege bauen. Und das sollten wir, denn der Radverkehr ist ein wichtiger Baustein in der Mobilitätswende. Ein Fahrrad benötigt nur einen Bruchteil des Platzes, den ein Auto einnimmt. Fahrradfahrten produzieren weder Stickstoffoxide noch Feinstaub, kein CO2 und keinen Lärm. Studien zeigen, dass die meisten unserer Alltagswege in einer fahrradkompatiblen Distanz liegen und auch 90 Prozent aller Einkäufe in einen Fahrradkorb oder in Fahrradtaschen passen.

Volksentscheid Fahrrad: Berlin dreht sich!

Während man in Kopenhagen oder in den Niederlanden bereits vor 40 Jahren anfing, konsequente Radverkehrsplanung zu betreiben – übrigens an beiden Orten zunächst widerwillig aufgrund von Bürgerprotesten –, blieb es in der Bundesrepublik meist bei Sonntagsreden. Ergebnis: In Kopenhagen liegt der Anteil des Radverkehrs am innerstädtischen Verkehr bei 60 Prozent. Laut Untersuchungen fahren Kopenhagener*innen Fahrrad, weil es schnell, bequem und sicher ist. In Berlin ist man davon weit entfernt. 2013 verabschiedete der Berliner Senat zwar eine Radverkehrsstrategie mit ein paar guten Ansatzpunkten und die verfügbaren Mittel für den Radverkehr wurden auf immerhin 3,80 Euro pro Kopf und Jahr aufgestockt – das reicht jedoch vorne und hinten nicht. Zum Vergleich: Der Nationale Radverkehrsplan empfiehlt mindestens 10 Euro, in Kopenhagen sind es 20 Euro. Aber selbst dieser geringe Betrag wurde nicht abgerufen. Es war versäumt worden, die personellen und strukturellen Voraussetzungen in der Verwaltung zu schaffen. Gleichzeitig gab es aus den Verbänden, die sich in Berlin für Umweltbelange bzw. nachhaltige Verkehrsverhältnisse einsetzen, zwar richtige Forderungen, jedoch keine Strategie, wie man diese jenseits entpolitisierter Beteiligungsformate forcieren könnte. In dieser Situation trat Ende 2015 die Initiative Volksentscheid Fahrrad Berlin, eine Gruppe verbandsunabhängiger Aktivist*innen, mit ehrgeizigen Zielen an: breite Radwege an allen Hauptstraßen, ein Netz aus Nebenstraßen für den Radverkehr, 200 000 neue Abstellanlagen und 100 Kilometer Radschnellwege, außerdem eine schnelle Mängelbeseitigung, die Schaffung von Verwaltungseinheiten für den Radwegeausbau, bessere Kommunikation und umfassende Transparenz. All dies goss die Initiative in einen Gesetzentwurf. Damit nicht erneut gute und hehre Ziele auf die lange Bank geschoben werden, sah der Gesetzentwurf vor, dass dies alles binnen acht Jahren umzusetzen ist. Die Ziele wurden SMART konzipiert (also spezifisch, messbar, aktivierend, realistisch und terminiert) und sollten so die Verwaltung zu zielgerichtetem Arbeiten verpflichten. Die Grundidee lautete: Alle sollen sicher und entspannt Fahrrad fahren können. Berlin soll zur Fahrradstadt werden und dabei auch einen neuen Standard setzen. Über das Gesetz sollten die Berliner*innen in einem Volksentscheid zeitgleich zur Bundestagswahl 2017 abstimmen können. Den Initiator*innen des Volksentscheids gelang es, in gut drei Wochen für die Sammlung von über 100 000 Unterschriften zu mobilisieren. Nie zuvor waren in Berlin so viele Unterschriften in so kurzer Zeit gesammelt worden. Das zu erreichende Quorum liegt bei 20 000 in sechs Monaten. Mit diesem Erfolg gelang es der Initiative, die ungerechten Verkehrs- und Platzverhältnisse auf Berlins Straßen mit Nachdruck infrage zu stellen und für Aufmerksamkeit – im Wahlkampf und darüber hinaus – zu sorgen. Der Erfolg beruhte auf vier Umständen: erstens auf einer offensiven Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit, zweitens auf einer generalstabsmäßig organisierten Unterschriftensammlung, an der Hunderte mitwirkten, drittens auf einem Match zwischen einer für viele als untragbar empfundenen Verkehrssituation und einem zunehmenden Bedürfnis, Verkehrspolitik politisch zu denken und zu gestalten, sowie viertens auf der Zusammensetzung des Unterstützerkreises. Es konnten nämlich nicht allein die »üblichen Verdächtigen«, also Umweltorganisationen, gewonnen werden (tatsächlich standen davon einige dem Volksentscheid eher skeptisch bis ablehnend gegenüber), sondern darüber hinaus wirtschaftspolitische Expert*innen und Stadtplaner*innen genauso wie Schüler*innen und Seniorenvertretungen.

Der Weg zum Mobilitätsgesetz

Mit diesem breiten gesellschaftlichen Bündnis und den 100 000 Unterschriften im Rücken gelang es dann 2016, im Zuge des Regierungswechsels zu rot-rot-grün ein Mobilitätsgesetz unter Einbeziehung der Ziele des »Volksentscheids Fahrrad« im Koalitions¬vertrag zu verankern. Der Initiative, die mit einem Radgesetz angetreten war, ist die Verabschiedung eines umfassenden Verkehrswendegesetzes zu verdanken. Das Berliner Mobilitätsgesetz besteht aus mehreren Teilen, wobei der allgemeine und der Radverkehrsteil partizipativ unter Mitwirkung der Verkehrsverwaltung (politische Leitung und permanent Angestellte), der Koalitionsfraktionen und der Zivilgesellschaft (Volksentscheid Fahrrad, ADFC Berlin, BUND Berlin) erarbeitet wurden. Bereits vor der Abstimmung über den Gesetzesentwurf wurden erste Voraussetzungen für den Ausbau der Radinfrastruktur geschaffen: Für die Radverkehrsplanung hat man zwei Stellen pro Berliner Bezirk bereitgestellt, in der Hauptverwaltung gibt es nun eine Koordinierungsstelle und eine Planungsgruppe für den Radverkehr, während für bezirksübergreifende Projekte, zum Beispiel Radschnellverbindungen, eine neu gegründete landeseigene Infrastrukturgesellschaft namens InfraVelo GmbH zuständig ist. Das Gesetz selbst gibt dem Infrastrukturausbau Form und Richtung. Bis 2030 sollen alle Berliner Hauptstraßen mit Radwegen ausgestattet sein, die zum Beispiel durch Poller oder Blumenkästen vom Autoverkehr getrennt sind. Es sollen ein Netz aus Fahrradstraßen, aus dem der motorisierte Durchgangsverkehr herausgehalten wird, entstehen sowie 100 000 Fahrradabstellplätze. Das Gesetz folgt dem strategischen Leitbild der Vision Zero, das vorsieht, schwere Personenschäden im Straßenverkehr auf null zu reduzieren und das Sicherheitsempfinden von Nichtautofahrer*innen bei der Planung von Infrastruktur zu berücksichtigen (was insbesondere für ältere Radfahrer*innen von Bedeutung ist). Zudem ist der Vorrang für den Umweltverbund in der Verkehrsplanung nun gesetzlich festgeschrieben. Das im Juni 2018 verabschiedete Berliner Mobilitätsgesetz könnte, was den Inhalt und die Art und Weise der Entstehung angeht, vorbildlich für andere Bundesländer sein. Die Inhalte der bislang verabschiedeten Teile decken sich in weiten Teilen mit denen des Gesetzentwurfes der Initiative und entsprechen den verkehrspolitischen Notwendigkeiten in Bezug auf den Ausbau des Radverkehrs. Was einzelne Forderungen angeht, die nicht erfüllt wurden (etwa die nach einer höheren Anzahl von Fahrradabstellplätzen), wird die Zunahme des Radverkehrs bald eine entsprechende Nachfrage herbeiführen und damit den Druck auf die Politik erhöhen.

Blockaden, Hürden und Verzögerungen

Die Berliner Verwaltung war (und ist bis heute) allerdings nicht komplett bereit für dieses Gesetz. Der verkehrspolitische Paradigmenwechsel stößt im Apparat teils auf offenen Widerstand. Neben aktiver Obstruktion einiger Personen und Verwaltungseinheiten wird die Umsetzung des Gesetzes aber vor allem durch die Berliner Verwaltungspraxis gebremst. Für Außenstehende wirkt es oft so, als sei stets jemand anderes verantwortlich. Dies gilt allerdings nur solange, bis sich eine Stelle tatsächlich für zuständig erklärt. Danach beginnt häufig ein regelrechtes Kompetenzgerangel. Noch immer haben die politisch Verantwortlichen im Senat und in den Bezirken es versäumt, Strukturen zu schaffen, die in der Lage sind, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Dabei ist unklar, ob sich die Verantwortlichen der Größe der Aufgaben nicht bewusst sind, sie sich in den sprichwörtlichen Berliner Verhältnissen so eingerichtet haben, dass drohendes Scheitern mit einem Achselzucken hingenommen wird, oder ob es ihnen an politischem Willen oder an der Fähigkeit mangelt, die Verkehrswende wirklich in die Tat umzusetzen. Deswegen besteht faktisch noch immer eine erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlich gebauten Infrastruktur und den Anforderungen des Gesetzes – und zwar sowohl in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht. Noch immer werden Radwege zu schmal gebaut, werden Kreuzungen so gestaltet, dass selbst hartgesottene Radfahrer*innen diese nur mit stark erhöhtem Puls überqueren, wird der Rad- und Fußverkehr regelmäßig »vergessen« oder auf Restflächen »zusammengepfercht«, während dem Autoverkehr weiterhin der rote Teppich ausgerollt wird. Es sind bislang keine Verfahren entwickelt worden, um die benötigten Baumaßnahmen zu systematisieren, und es gibt auch fast zwei Jahre nach Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes keine funktionierenden Projektsteuerungsstrukturen für die Umsetzung. Gleichzeitig wird der Aufgabenrückstau immer größer, sodass bereits jetzt rund 700 Meter Fahrradinfrastruktur täglich neu bereitgestellt werden müssten, um die Vorgaben des Gesetzes zu erfüllen.

Druck von unten

Die Administration wird dabei immer wieder »von unten« unter Druck gesetzt. Die Initiative Volksentscheid Fahrrad hatte 2016 den Verein Netzwerk Lebenswerte Stadt gegründet. Mit der Umbenennung in Changing Cities im Jahr 2017 wurde die Arbeit professionalisiert und diversifiziert. Eine Geschäftsstelle unterstützt seitdem die Gründung von Netzwerken und Gruppen in den Berliner Bezirken. Diese Aufbauarbeit war nötig, weil sich abzeichnete, dass ein Gesetz allein nicht genügen wird. Die Aktivistengruppen sind noch immer damit beschäftigt, die politischen und administrativen Akteure anzutreiben, Radverkehrsförderung und Verkehrswende mit der gebotenen Konsequenz zu verfolgen. Zu den regelmäßig stattfindenden Aktionen gehören eine offensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie öffentliche Proteste, darunter Demonstrationen auf Hauptstraßen mitten im Berufsverkehr, um auf getötete Radfahrer*innen hinzuweisen oder um vom Senat angekündigte »Sofortmaßnahmen« einzuklagen, die oft Wochen oder Monate auf sich warten lassen. Ferner geht Changing Cities immer wieder in Vorleistung: mit eigenen Vorschlägen für das Radverkehrsnetz, mit fachlich-stadtplanerischer Expertise, mit gemeinsamen Aktionen, die die Verkehrswende erlebbar machen, zum Beispiel autofreie Tage in Einkaufsstraßen. Für viele Fälle, in denen eine noch immer im Gestern verharrende Verwaltung nur ein »Geht nicht!« oder ein »Das ist zu kompliziert« bereithielt, wurden Lösungen präsentiert und durchgesetzt: geschützte Radspuren, modale Filter (Poller) gegen den motorisierten Durchgangsverkehr und vieles andere mehr. Auf diese Weise sind bislang allein in Berlin bei Changing Cities rund 30 000 unbezahlte Arbeitsstunden in die Verkehrswende geflossen. Auch künftig wird das Engagement auf hohem Niveau weitergehen, um die Umgestaltung Berlins zur lebenswerten und menschenfreundlichen Metropole zu beschleunigen. Trotz der Behinderungen und des politischen Führungsversagens können wir festhalten: Berlin wird ganz sicher in zehn Jahren anders aussehen und deutlich fahrradfreundlicher sein. Es wurden finanzielle Mittel bereit- und Planer*innen eingestellt sowie organisatorische Einheiten mit entsprechendem Gewicht geschaffen. Die Frage bleibt jedoch, ob dies ausreichend ist und wie weit wir 2030 gekommen sein werden, vor allem, wenn man die Fortschritte in Berlin mit denen in anderen europäischen Städten vergleicht. In Städten wie Madrid, Paris, Barcelona, Oslo oder Helsinki wird nämlich schon längst an einer weitgehend vom privaten Autoverkehr befreiten Stadt geplant, in der die Menschen bei hoher Aufenthaltsqualität mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuß ihre Mobilitätsbedürfnisse erfüllen können.

Vom Berliner Radentscheid zur Changing-Cities-Bewegung

Auch wenn Berlin in vielerlei Hinsicht noch hinter anderen europäischen Metropolen hinterherhinkt, hat die Berliner Initiative Volksentscheid Fahrrad eine bundesweite Bewegung angestoßen. Bereits im Frühjahr 2016 startete der Radentscheid Bamberg, gefolgt vom Radentscheid Darmstadt, dem Radentscheid Frankfurt am Main und vielen weiteren kommunalen Radentscheiden. Der Initiative Aufbruch Fahrrad NRW gelang es 2019, über 200 000 Unterschriften zu sammeln und ihre Forderungen im Landtag vorzutragen. Inzwischen gibt es fast 30 solcher Gruppen in Deutschland. Sie formulieren klare Forderungen und Ziele, setzen zeitliche Rahmen und bemühen sich darum, das Radfahren für immer mehr Menschen attraktiv zu machen. In der Regel gelingt es ihnen, in kurzer Zeit die Quoren für Bürgerentscheide zu knacken und das in Städten verschiedenster Größe, von Berlin bis Marl. Dies zeigt, dass die Bürger*innen an vielen Stellen bereits weiter sind als die Kommunalpolitiker*innen und -verwaltungen. Mit Stand Januar 2020 haben über 700 000 Menschen für einen Radentscheid unterschrieben. Das sind rund 1,5 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland und damit ein nicht zu unterschätzendes Wählerpotenzial. Die Initiativen von Radentscheiden vernetzen und tauschen sich regelmäßig aus. Ziel ist, mit dem in den lokalen Kampagnen erprobten Baukasten an Forderungen, Methoden, Instrumenten und Aktionsformen den nächsten Bundestagswahlkampf zu beeinflussen. Zentrale Forderungen sind ein bundesweit flächendeckendes, qualitativ hochwertiges Radverkehrsnetz, die Weiterentwicklung der Straßenverkehrsordnung hin zu mehr Fahrradfreundlichkeit, konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit sowie die Re-Internalisierung der immensen gesamtgesellschaftlichen Kosten des privaten Kraftverkehrs, der derzeit jährlich pro Fahrzeug mit rund 2 000 Euro direkt (z. B. über Straßenbau, Steuersubventionen, Kaufprämien) und indirekt (z. B. in Form von Gesundheits- und Umweltschäden) gesellschaftlich subventioniert wird. Rund vier Jahre Radentscheid- und Changing-Cities-Bewegung haben verdeutlicht, dass die Verkehrswende von unten vorangetrieben werden kann und muss, da die vorhandenen politisch-administrativen Strukturen ohne diesen Impuls nicht dazu fähig sind. Mit direktdemokratischen Instrumenten, die von einer offensiven, auf positive Ziele orientierten Kampagnenarbeit begleitet werden, können die diskursiven und politischen Grundlagen für eine bessere, flächengerechtere und damit auch sozialere Verkehrspolitik gelegt werden. Dabei geht es um das Bohren dicker Bretter: Von der Straßenverkehrsordnung bis zu den Planungsrichtlinien ist das automobile System tief eingegraben und der Rad- und Fußverkehr an den Rand gedrängt. Die Verkehrswende von unten, wie sie Changing Cities angestoßen hat, ist der richtige Bohrer für dieses dicke Brett. Es kann nicht der einzige sein. Für die Klimagerechtigkeit und auch die Sicherstellung der Mobilität der Zukunft sind die Förderung des Radverkehrs und die Umverteilung des Verkehrsraums allerdings systemrelevant.

Changing Cities und alle existierenden Radentscheid-Initiativen leisten gern Unterstützung beim Anschieben eines eigenen kommunalen Radentscheids. Mehr Infos unter: https://changing-cities.org bzw. info@changing-cities.org

Denis Petri ist Stadtforscher, Campaigner und Aktivist für eine Verkehrswende von unten. Er ist im Changing Cities e. V. aktiv (unter anderem als Vorstand) und hat in Berlin den Volksentscheid Fahrrad vorangetrieben.

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Ursprünglich veröffentlicht auf: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/vom-drehen-der-staedte

#Mobilität #Organisierung #Alternativen #Berlin

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Auf Deutschlands Straßen dominiert noch immer das Auto. Die Akteure in Politik und Verwaltung konnten oder wollten daran in den vergangenen Jahrzehnten wenig ändern. Deswegen muss die Verkehrswende von unten durchgesetzt werden. Dafür sind der Berliner Radentscheid im Jahr 2015 und die daraus entstandene Changing-Cities-Bewegung mit kommunalen Radentscheiden in ganz Deutschland angetreten. Es geht um lebenswerte Städte, Mobilität für alle und konkreten Klimaschutz. Was 2015 in Berlin seinen Anfang nahm, ist eine bundesweite Bewegung geworden: Bürgerentscheide drängen die kommunalen Verwaltungen zum Ausbau der Radinfrastruktur. Denis Petri, der im Changing Cities e. V. aktiv ist und in Berlin den Volksentscheid Fahrrad vorangetrieben hat, berichetet über die erfolgreiche Organisierung.

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Teilhabe für alle

Linke Geländegewinne im Kampf um Antidiskriminierung

Juni 2021 • Elif Eralp

wal_172619 / Pixabay

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Berlin, Anti-Rassismus, Migration#Berlin #Anti-Rassismus #Migration

Über Rassismus sprechen

Das Wichtigste vorneweg: Die gesellschaftliche Ausgangslage ist entscheidend für die Frage, was eine LINKE in Regierung (und außerhalb) durchsetzen kann. Diese steht aktuell für progressive und antirassistische Projekte nicht schlecht. Zwar haben wir es mit einer zunehmend aggressiven rassistischen Stimmungsmache und Mobilisierung eines Teils der Gesellschaft zu tun, doch zugleich wurde im letzten Jahr in Deutschland erstmals monatelang umfassend über Rassismus diskutiert und zwar auch in seinen strukturellen Dimensionen. Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland fasst diese Verschiebung in der gesellschaftlichen Debatte so zusammen: „Nach dem Attentat von Hanau wurde zum ersten Mal sehr schnell von Rassismus gesprochen. Zuvor wurde das oft mit Begriffen wie „fremdenfeindlich“ oder „ausländerfeindlich“ verharmlost. Rassismus ist endlich kein Tabuthema mehr.“

In Berlin gibt es Mehrheiten für eine offene und solidarische Gesellschaft und sehr viele Menschen, die sich aktiv dafür engagieren und sich organisieren. Der rassistische Terroranschlag von Hanau, dem neun junge als „fremd“ markierte Menschen zum Opfer fielen, war für viele junge Menschen und gerade Menschen mit Migrationsgeschichte eine Zäsur. Weite Teile der jungen Generation haben sich politisiert. Bundesweit gründeten sich etliche Initiativen, antirassistische Bündnisse und Migrantifa-Gruppen. Dieser Prozess wurde verstärkt durch die Black Lives Matter Proteste, deren Initialzündung die Ermordung George Flyods durch einen weißen Polizisten in Minneapolis war. Ausgehend von den USA fanden sie global Widerhall und brachten im Juni 2020 in Berlin Zehntausende auf den Alexanderplatz. Sie rückten Polizeigewalt und Rassismus in staatlichen Institutionen auch hierzulande in den Fokus der Öffentlichkeit. Aber auch das Recht auf Teilhabe und Partizipation von migrantisierten Menschen wurde auf allen Ebenen stark gemacht. In Reaktion auf Hanau forderte beispielsweise die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen, die über 40 Selbstvertretungen vereint, eine „Migrationsquote“ für den öffentlichen Dienst.

Ein Gelegenheitsfenster

In dieser Situation stand laut Koalitionsvertrag die Novellierung des „Partizipations- und Integrationsgesetzes“ in Berlin an. Das Gesetz war 2010 auf Initiative des Landesbeirats für Integrations- und Migrationsfragen durch die damals von LINKEN und SPD geführte Landesregierung entstanden. Es sollte die Teilhabe von Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund[1] in der Verwaltung verbessern, vorhandene Zugangsbarrieren durch gezielte Förderung und die Einbindung migrantischer Organisationen in behördliche Entscheidungsprozesse abbauen.

Dem lag die Feststellung zugrunde, dass sehr wenig Menschen mit Migrationsgeschichte in den Behörden beschäftigt sind und ihre Perspektiven folglich in Entscheidungsprozessen kaum eine Rolle spielen. Berlin war mit dem Gesetz damals bundesweit Vorreiterin.[2]

Es hat im Laufe von 10 Jahren jedoch kaum zu Verbesserungen geführt. Schätzungen zufolge haben derzeit nur etwa 12 Prozent der Beschäftigten in der Verwaltung einen sogenannten Migrationshintergrund, obwohl dies auf 35 Prozent der Berliner Bevölkerung zutrifft. Laut einer Studie von Vielfalt entscheidet bezeichnen sich unter den Führungskräften in der Verwaltung sogar nur drei Prozent als „nicht weiß“. Der Evaluationsbericht zum Gesetz von 2019 macht deutlich, dass es kaum umgesetzt wurde. In einzelnen Verwaltungen gab es kleinere Maßnahmen, aber keine konkreten Förderpläne, keine Zielmarken und keine verbindlichen, mit Ressourcen ausgestatteten Instrumente. So gaben beispielsweise nur 60 Prozent der Verwaltungseinheiten an, bei Ausschreibungen den Beisatz „Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund sind besonders erwünscht“ tatsächlich zu verwenden. Die Integrationssenatorin Elke Breitenbach spricht von einem der am wenigsten umgesetzten Gesetze überhaupt.

Die notwendige Novellierung lag in LINKER Zuständigkeit und bot damit die Chance endlich effektive Umsetzungsinstrumente für Menschen mit Migrationsgeschichte und Rassismuserfahrung einzuführen und langjährige Forderungen von Migrant*innenorganisationen aufzunehmen. Dazu gehört die schon lange geforderte, rechtlich und politisch aber umstrittene Quote. Anders als die Frauenquote ist die Quote für Menschen mit Migrationsgeschichte rechtliches Neuland. Progressive Rechtsexpert*innen stützen jedoch die Verfassungsgemäßheit eines solchen Vorhabens.[3]

Die LINKE könnte – so die Einschätzung – hier den Unterschied machen und beweisen, dass sie nicht nur von Teilhabe fabuliert, sondern ernst macht und vorangeht, wenn es sich um neues und strittiges Terrain handelt. Bisher hat bundesweit niemand in Regierungsverantwortung eine so weitgehende Regelung angestrebt und auch die Beschlusslagen bei den Berliner Koalitionspartnern gaben das nicht her.

Im Vorstand der Berliner LINKEN fassten wir nach intensiver Debatte den Beschluss für eine Einstellungsquote zu kämpfen, obwohl abzusehen war, dass es von Seiten der SPD erhebliche Widerstände geben würde und unklar war, wo sich die Grünen in dem Konflikt verorten würden – von der Opposition und reaktionären gesellschaftlichen Kräften ganz zu schweigen. Dass der Beschluss so zustande kam, lag auch an der geschilderten gesellschaftlichen Ausgangslage. Uns war bewusst, dass wir die Quote innerhalb der Koalition möglicherweise nicht durchsetzen würden. Die historische Chance, erstmalig durch einen Gesetzesvorschlag aus einer Senatsverwaltung die politische und rechtliche Machbarkeit einer Quote für Menschen mit „Migrationshintergrund“[4] zu beweisen, wollten wir aber nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Das Terrain der Auseinandersetzung

Für dieses Vorhaben war der frühzeitige und regelmäßige Austausch von Mitgliedern des Parteivorstands der LINKEN mit migrantischen Selbstvertretungen, zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Gewerkschafter*innen maßgeblich, aber auch der Kontakt zwischen Parteivorstand und Elke Breitenbach als zuständiger Integrationssenatorin.

In der mündlichen und schriftlichen Verbändeanhörung sprachen sich zahlreiche migrantische Selbstvertretungen und Verbände für die Erweiterung der Zielgruppe des Gesetzes und für effektive Instrumente wie eine flächendeckende Datenerhebung, Dokumentationspflichten, fördernde Bewerbungs- und Einstellungsverfahren sowie für die Einstellungsquote für Menschen mit Migrationsgeschichte und Rassismuserfahrung aus. Auch ein von der Integrationsverwaltung in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, dass die von der SPD und anderen angezweifelte Verfassungsgemäßheit einer Quote bescheinigte, war von Bedeutung. Gegen Widerstände auch innerhalb der Fachebenen der Verwaltung setzte Elke Breitenbach die Quote in einer zweiten Fassung des Referentenentwurfs durch. Wichtig war dabei auch, dass innerhalb der verschiedenen Senatshäuser Verwaltungsmitarbeiter*innen unser Anliegen politisch teilten und gegen anders lautende Fachauffassungen argumentierten. Gleiches gilt für die Berliner Integrationsbeauftragte.

Als sich im senatsinternen Mitzeichnungsverfahren abzeichnete, dass zwar die Grünen den Vorschlag mittrugen, die SPD sich jedoch als vehemente Gegnerin der Quote darstellte und drohte das gesamte Vorhaben zu blockieren, bezog Elke Breitenbach vielfach öffentlich Stellung für die Quote.

Damit wurde der Konflikt öffentlich geführt und ermöglicht, dass sich die Zivilgesellschaft an der Debatte beteiligt. Die SPD schäumte, weil sie unter Druck geriet und sich öffentlich positionieren musste. Der Tagesspiegel titelte „Streit über Berliner Migrantenquote, SPD wertet Breitenbachs Vorstoß als ‚grobes Foul’“. Es folgte eine intensive Presseberichterstattung.[5]

Auch die Parteiführung der Grünen bezog öffentlich Stellung für das Gesetz und für die Quote. Die zahlreichen Wortmeldungen aus der Stadtgesellschaft gaben Rückenwind für den Quotenvorschlag und es konnte zumindest kurzzeitig eine intensive Debatte in der Stadt entfacht werden. Viele Verbände wiesen die Kritik der SPD zurück und unterstützen den Gesetzesvorschlag von Elke Breitenbach. Dazu gehörten die Neuen Deutschen Organisationen, die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen, der Berliner Migrationsrat, in dem sich über 70 Selbstvertretungen organisieren, auch wenn sie noch weitergehende Forderungen hatten. Letzterer startete sogar eine Social-Media-Kampagne #35%Quote. Gewerkschafter*innen of Color appellierten in einem offenen Brief an die SPD ihren Widerstand gegen die Quote aufzugeben und sich für die Beschäftigten mit Migrationsgeschichte einzusetzen. Die Berliner Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial setze sich vielfach öffentlich für die Gesetzesnovelle und die Quotenregelung ein. Auch Rechtsexpert*innen widerlegten die seitens der SPD und anderer vorgetragenen Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit einer Quote. In verschiedenen Diskussionsveranstaltungen wurde kontrovers debattiert. Es fand eine breite gesellschaftliche Mobilisierung statt.

Diese Debatte rief natürlich auch die Gegner*innen von Teilhabepolitik auf den Plan. Neben Hassmails an die Integrationssenatorin und zahllosen rassistischen und rechtsextremen Kommentaren und Hetze im Internet wurde auch von bürgerlicher Seite gegen die Quote angeschrieben. Die CDU stellte einen Antrag zur Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus mit dem Titel „Migrantenquote im Öffentlichen Dienst: unnötig, unsinnig, schädlich, verfassungswidrig“. Die Debatte verlief turbulent und die üblichen Ressentiments und Rassismen gegen migrantisierte Menschen kamen auch hier wieder einmal zum Ausdruck.[6]

Viele Vorbehalte, wie eine Quote bedeute einen Generalverdacht gegen Einstellende, reduziere Menschen auf ein bestimmtes Merkmal oder sei eine ungerechte Bevorzugung kennen wir aus den Debatten und Widerständen gegen die Frauenquote. In dieser Diskussion kamen sie leider auch von deren Vorkämpferinnen. So positionierte sich die Berliner SPD-Vorsitzende und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey gegen die „Migrationsquote“, obwohl sie selbst wenig vorher zur Verteidigung der Frauenquote anführte, dass „der eine Thomas den anderen Thomas, der eine Michael den anderen Michael“ fördere und „Kontakte, Beziehungen und Sympathien in festgefügten Netzwerken von Männern“ dazu führten, dass ein Kreislauf entstünde, in den Frauen nicht eindringen könnten. Diese Förderung von Personen, die einem ähnlich erscheinen, nennt die Journalistin und Teilhabe-Expertin Ferda Ataman „similar-to-me“ Effekt und weist daraufhin, dass das gleiche Phänomen auch Menschen mit Migrationsgeschichte betreffe. In der SPD war die Bereitschaft für ein weiteres umstrittenes antirassistisches Projekt wohl auch deswegen gering, weil sie sich kurz zuvor durch das Mittragen des Landesantidiskriminierungsgesetzes viel Kritik in ihrer Wählerschaft eingehandelt hatte.

Raus aus der Defensive

Trotz des Gegenwinds wirkte die Debatte auch stärkend, weil sich migrantisierte sowie sich antirassistisch positionierende Menschen über die verschiedensten Zusammenhänge und Communities hinweg zu Wort meldeten, Diskriminierung anprangerten und Teilhabe einforderten. Es entstand eine Art Wettbewerb zwischen den sich als offen verstehenden Parteien und Politiker*innen, wer mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in den eigenen Reihen habe. Dass es einen solchen Wettbewerb gibt ist gut und zeigt, dass inzwischen auch Entscheidungsträger*innen erkannt haben, dass sie sich anstrengen müssen, um ihre Strukturen durchlässiger zu machen. Denn ohne Vielfalt und Teilhabe Aller werden wir es weiter mit einem erheblichen Demokratiedefizit zu tun haben.

Als LINKE haben wir, wie auch einige Verbände, versucht die hinter der Quotenforderung stehende Klassenfrage in der Debatte stark zu machen. Schließlich sind Menschen mit Migrationsgeschichte besonders häufig von prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen betroffen, haben schlechtere Bildungs- und Aufstiegschancen als andere. Insofern sollte das Gesetz mit seinen vielen Förderelementen auch einen sozialen Nachteislausgleich darstellen und dazu beitragen Chancengleichheit herzustellen.

Die Debatte hat sich sehr stark auf die Quote fokussiert. Andere wichtige Teilhabeaspekte des Gesetzes und gesellschaftliche Schieflagen, die einen Nachteilsausgleich erforderlich machen, haben weniger eine Rolle gespielt. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass vor allem Zuspitzungen und Themen mit einem hohen Konfliktpotential medial durchdringen. Für uns barg das die Gefahr, Erwartungen zu enttäuschen, falls wir uns nicht durchsetzen.

Scheitern und Erfolg

Letztlich ist eine verbindliche Einstellungsquote am Widerstand der SPD gescheitert. Dennoch sind wichtige Fortschritte erzielt worden, die ohne die weitgehenden Vorschläge von Elke Breitenbach und der Berliner LINKEN nicht möglich gewesen wären. Ähnlich zentral waren jedoch die politische Bereitschaft auch öffentlich in den Konflikt zu gehen sowie der Rückenwind und das Zusammenspiel mit der Berliner Stadtgesellschaft.

Statt einer einklagbaren Quotenregelung ist lediglich eine Zielvereinbarung beschlossen worden, diese steht aber immerhin im Gesetz statt bloß in Förderplänen. Dies ist insofern als Erfolg zu werden, als sie sowohl für Einstellungen als auch bei der Ausbildungsplatzvergabe vorsieht, auf allen Ebenen mindestens den Anteil von Personen mit „Migrationshintergrund“ abzubilden, der dem Berliner Bevölkerungsanteil entspricht. Außerdem wird eine Dokumentationspflicht für Einstellungsverfahren eingeführt, welche die Defizite transparent machen wird. Besonders wichtig für die Kontrolle der Umsetzung des Gesetzes ist, dass endlich eine Rechtsgrundlage zur flächendeckenden auf freiwilligen Angaben beruhenden Datenerhebung geschaffen wird, die transparent machen wird, in welcher Besoldungsgruppe wie viele Menschen mit „Migrationshintergrund“ beschäftigt sind. So können zielgenaue Maßnahmen ergriffen und Förderpläne geschrieben werden. Schließlich wurde die Zielgruppe des Gesetzes erweitert und erstmals die Begriffe „Menschen mit Migrationsgeschichte“ und „rassistisch Diskriminierte“ in einem Partizipationsgesetz eingeführt, die die zu fördernde Gruppe besser beschreiben.[7]

Verwaltungsbeschäftigte mit Migrationsgeschichte werden regelmäßig anonym zu ihrer Situation und zu Diskriminierungserfahrungen befragt, um Maßnahmen für eine diskriminierungsfreie Organisationskultur zu entwickeln. Bei der Auswahl der Bewerber*innen wird nun sichergestellt, dass mindestens so viele Menschen mit „Migrationshintergrund“ zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden, wie es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Außerdem soll gezielt angeworben werden. Zur Umsetzung des Gesetzes ist zusätzliches Personal vorgesehen und Berlin erfüllt eine langjährige Forderung der Rom*nja und Sinti*zze Organisationen und bekommt einen „Beirat für die Angelegenheiten der Roma und Sinti“. Der positive Begriff der Partizipation wurde im Gesetz gestärkt, auch wenn es, wegen des Widerstands der SPD, leider nicht gelungen ist, den Begriff „Integration“ vollständig aus dem Gesetz zu streichen.[8]

Der Gesetzestitel lautet nun aber immerhin: „Gesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft des Landes Berlin (Partizipationsgesetz – PartMigG)“ statt „Integrations- und Partizipationsgesetz“.

Das Partizipationsgesetz ist inzwischen im Senat beschlossen worden und derzeit stehen die Beratungen dazu im Abgeordnetenhaus an, wo es erneut die Chance gibt unsere weitergehenden Forderungen stark zu machen.

Aber schon jetzt ist viel erreicht worden und die geführte Debatte kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wir sind bei der Forderung nach mehr Teilhabe und Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte, von Schwarzen Menschen und Menschen of Color auch diskursiv einen großen Schritt weitergekommen. Der Geländegewinn muss durch Kämpfe der Selbstvertretungen, der progressiven Kräfte in Parteien und der Gesellschaft weiter ausgebaut werden!

Fußnoten:

[1] Ein solcher besteht, wenn die betroffene Person selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht schon bei Geburt besaß (vgl. § 6 Mikrozensusgesetz).

[2] Später haben andere Bundesländer, wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern ähnliche Gesetze erlassen und auch in anderen Bundesländern wurde darüber diskutiert.

[3] Neben dem von der Integrationsverwaltung in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten von Doris Liebscher, „Möglichkeiten zur Verbesserung der Chancen für Menschen mit Migrationshintergrund/Migrationsgeschichte durch eine Novellierung des PartIntG Berlin“ gehen auch Verfassungsrichterin Professorin Susanne Baer und Professorin Nora Markard von der Verfassunsgemäßheit positiver Maßnahmen wie der Einstellungsquote aus (vgl. Baer/Markard, Grundgesetz Kommentar Mangoldt u.w., 2. Aufl., 2018, Art. 3, Rn. 422 ff.). Vgl. außerdem Dr. Ibrahim Kanalan, Weder revolutionär noch eine Besonderheit – Verfassungsblog.

[4] Richtiger wäre es, die Quote und andere Fördermaßnahmen an dem Umstand der gesellschaftlichen Diskriminierung festzumachen und entsprechend eher an Kriterien wie „rassistisch diskriminierte Person“ oder zumindest „Person mit Migrationsgeschichte“. So können etwa weiße Nordeuropäer*innen nach der genannten Definition einen „Migrationshintergrund“ haben, sie sind aber deshalb meist nicht von Diskriminierung betroffen. Für Schwarze Menschen, deren Familien seit vielen Generationen in Deutschland leben und keinen „Migrationshintergrund“ mehr haben, sind jedoch Rassismus und Diskriminierung feste Größen in ihrem Alltag. Um Fördermaßnahmen wie eine Quote umsetzbar zu machen, bedarf es aber einer statistischen Bezugsgröße. Repräsentatives Datenmaterial liegt in Berlin und bundesweit bisher nur zum sogenannten Migrationshintergrund vor, der daher der Quote als Anknüpfungspunkt dient (vgl. dazu auch Liebscher 2019).

[5]  Siehe dazu in den folgenden Fußnoten sowie in DER SPIEGEL, 26.1.2021; Tagesspiegel, 2.2.2021; ND, 18.1.2021; Verfassungsblog, 29.1.2021; BR Podcast, 19.1.2021; Tagesspiegel, 24.1.2021; SZ.de, 5.2.2021; ZEIT ONLINE, 26.1.2021; BZ, 23.1.2021; ARD, 19.1.2021.

[6] Vgl. Abgeordnetenhaus, Plenarprotokoll 18/71 v. 28. Januar 2021, Seite 8452 ff., Plenum - Protokoll (parlament-berlin.de); Elke Breitenbach fasste die gesellschaftliche Debatte, die sich auch im Parlament widerspiegelte, gut zusammen, indem sie auf den Reflex hinwies, „dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte per se ihre Eignung abgesprochen wird, in den öffentlichen Dienst zu gehen – und zwar bis tief hinein in Funktionärskreise von Parteien und Gewerkschaften“ und darauf, dass „ein zutiefst rassistisches Denken in dieser Gesellschaft verankert“ sei (siehe: https://m.tagesspiegel.de/berlin/berliner-senatorin-verteidigt-migrantenquote-rassistisches-denken-ist-tief-in-unserer-gesellschaft-verankert/26840408.html).

[7] Der Begriff der „Menschen mit Migrationsgeschichte“ wird im Gesetz überall dort verwandt, wo es nicht zwingend einer statistischen Bezugsgröße bedarf. Bei Fördermaßnahmen die auf eine statistische Bezugsgröße angewiesen sind, wird der Begriff der „Menschen mit Migrationshintergrund“ verwandt, zu dem Vergleichsdaten im Hinblick auf den Bevölkerungsanteil vorliegen, siehe auch Fußnote 4.

[8] Der Begriff „Integration“ suggeriert, dass es eine heterogene vorzufindende Gesellschaft gäbe, in die sich (vermeintlich) Hinzugekommene integrieren müssten, dabei muss es um die gemeinsame Gestaltung der vielfältigen Gesellschaft gehen. Das Konzept der „Integration“ gilt in der Diskriminierungsforschung daher auch weitgehend als überholt (vgl. z.B. Ein Gesetz für die Berliner Stadtgesellschaft – Bericht der Evaluation des Partizipations- und Integrationsgesetzes ist öffentlich - Berlin.de).

Elif Eralp ist Juristin und Mitglied im Landesvorstand der Berliner LINKEN. Sie war am Entwurf des im März 2021 auf den Weg gebrachten „Gesetzes zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft des Landes Berlin“ massgeblich beteiligt.

Ursprünglich veröffentlicht auf: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/teilhabe-fuer-alle

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Menschen mit Migrationsgeschichte und Rassismuserfahrung sind in den meisten gesellschaftlichen Feldern unterrepräsentiert, Zugänge deutlich erschwert. Um dies zu ändern und um die Chancen auf gleichberechtigte Teilhabe und Repräsentanz in der Berliner Verwaltung zu verbessern, sollte Ende 2020/Anfang 2021 das Berliner Partizipationsgesetz überarbeitet werden. In diesen Prozess haben die Berliner LINKE und die zuständige Senatorin Elke Breitenbach eine Quotenregelung für Menschen mit Migrationsgeschichte vorgeschlagen. Wie zu erwarten gab es erheblichen Widerstand, der jedoch in eine breite öffentliche Debatte um Teilhabechancen und eine glaubwürdige Politik gegen Diskriminierung gewendet werden konnte. Insofern kann dies als Beispiel für „rebellisches Regieren“ dienen – aber auch dessen Grenzen aufzeigen. Es veranschaulicht, wie durch arbeitsteiliges Zusammenwirken von Partei, Senatsmitgliedern und Zivilgesellschaft sowohl diskursive als auch materielle Erfolge erzielt werden können.

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Gemeinsam Druck machen

Wie werden Krankenhauskämpfe zur gesellschaftlichen Bewegung?

April 2021 • Interview mit Jeannine Sturm und Daniel Schur

„Profite pflegen keine Menschen“ – Protest für bessere Bedingungen im Gesundheitswesen, 17. Juni 2020, Berlin. Foto: Leonhard Lenz / Wikimedia Commons / CC0

„Profite pflegen keine Menschen“ – Protest für bessere Bedingungen im Gesundheitswesen, 17. Juni 2020, Berlin. Foto: Leonhard Lenz / Wikimedia Commons / CC0

Krankenhaus, Gewerkschaft, Organisierung, Berlin, Pflege#Krankenhaus #Gewerkschaft #Organisierung #Berlin #Pflege

Vivantes und Charité, die beiden größten öffentlichen Krankenhäuser in Berlin, starten 2021 eine neue Tarifbewegung. Warum?

Jeannine: Weil die alten Probleme nicht gelöst sind und in der Krise noch viel deutlicher werden. Wir stecken seit Jahrzehnten in einem Teufelskreis. Wegen des verfehlten Finanzierungssystems im Krankenhaus, den sogenannten DRGs, wird am Personal gespart, wodurch die Arbeitsbedingungen schlechter werden und wir noch weniger Personal finden. Um den Beruf wieder attraktiv zu machen, brauchen wir faire Entlohnung, eine Ausbildungsoffensive – und vor allem gute Arbeitsbedingungen, damit die Leute auch bleiben. Nur mit ausreichend Personal können wir die Patient*innen sicher versorgen. Eine gute Personalbemessung ist der Hebel, um aus der Misere rauszukommen. Aber das erreichen wir nur durch eine große Krankenhausbewegung.

Wie wollt ihr Druck aufbauen?

Jeannine: Wir werden eine klare Sprache sprechen: Ihr als politisch Verantwortliche habt die einmalige Chance, im Superwahljahr, in der Pandemie, auf unsere Forderungen einzugehen. Wenn ihr sie nicht nutzt, werdet ihr nicht nur politisch abgestraft, wir haben theoretisch auch die Möglichkeit, 50 Prozent der Krankenhausbetten in Berlin zu bestreiken. Das ist unsere Machtressource, und wir sind bereit, sie zu nutzen.

Braucht ihr dafür Unterstützung?

Jeannine: Um unser Anliegen der Öffentlichkeit zu vermitteln, definitiv. Allein unser Streikrecht zu verteidigen, ist ein heikles Thema. Wir müssen kommunizieren, dass wir die Patient*innen nicht gefährden, sondern auch in ihrem Interesse streiken. In der letzten Tarifbewegung hat uns das Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus etwa durch Infoveranstaltungen extrem gut unterstützt. Zu Beginn des Streiks hieß es in den Medien noch, wir würden die Patient*innen in Geiselhaft nehmen. Am Ende haben wir viel Zuspruch und öffentliche Solidarität erfahren.

Daniel, warum bringt sich die LINKE in eine Tarifauseinandersetzung ein?

Daniel: Weil es eben nicht nur um einen betrieblichen Konflikt geht, sondern um einen gesellschaftlichen. In den Krankenhäusern zeigt sich, was passiert, wenn man die öffentliche Daseinsvorsorge nach dem Profitprinzip organisiert. Um das zu ändern, braucht es politischen Druck jenseits des Betriebs. Hier könnte die LINKE ein Scharnier bilden zwischen den Beschäftigten, der Gesellschaft und der Bewegung. In Berlin und anderen Bundesländern gab es bereits Volksbegehren für mehr Pflegepersonal. Und mit ihrer Pflegekampagne hat die LINKE in den letzten Jahren schon viel getan. In diesem Konflikt gibt es eine unheimliche Politisierung und die Aussicht, wirklich etwas zu gewinnen, das auf andere Bereiche ausstrahlen könnte. Darum sollten wir als Partei dieses Jahr unsere Kräfte hier bündeln.

An der Charité wurden bereits Personalvorgaben erkämpft, die Politik hat gesetzliche Pflegeuntergrenzen eingeführt. Warum reicht das nicht?

Jeannine: An der Charité wurden 2015 zum ersten Mal Personalvorgaben per Tarifvertrag beschlossen. Da steckten viele gute Ansätze drin, zum Beispiel Personalbemessungssysteme, die sich am Betreuungsaufwand ausrichten. Sie blieben aber auf den guten Willen des Arbeitgebers angewiesen, es fehlten Sanktionsmechanismen. Darum wurden die Vorgaben einfach nicht umgesetzt. Die gesetzlichen Pflegeuntergrenzen helfen da auch nicht weiter, denn die versuchen nicht mal, den wirklichen Bedarf zu ermitteln, sondern schreiben nur für wenige Bereiche den schlechten Istzustand fest. Es wurde also eher an Symptomen herumgedoktert.

Daniel: Die Probleme werden immer auf die nächste Ebene geschoben: Das Krankenhausmanagement sagt, uns sind die Hände gebunden, und verweist auf die Landesebene; die Landesregierungen sagen, der Bund ist zuständig, und der Bund sieht die Länder in der Verantwortung. Deshalb ist so wenig passiert, obwohl es in der Bevölkerung eine breite Zustimmung für die Personalbemessung gibt. Darum müssen wir die Kämpfe auf allen diesen Ebenen führen und verbinden.

Wenn die letzten Tarifbewegungen das Problem nicht lösen konnten – was ist diesmal anders?

Jeannine: Wir wollen diesmal für alle Krankenhausbereiche und alle beteiligten Berufsgruppen konkrete Vorgaben, wie viel Personal in jeder Schicht gebraucht wird. Und wir wollen verbindliche Konsequenzen, wenn dieses Soll unterschritten wird, etwa die Einführung von Entlastungstagen. Außerdem sind wir diesmal nicht allein, sondern wir kämpfen mit Vivantes zusammen. Und noch etwas ist neu: Es sind alle Berufsgruppen mit einbezogen, denn wir müssen auch die Situation der Therapeut*innen, Reinigungs- und Laborkräfte verändern. Wir arbeiten im Krankenhaus eng verzahnt und leiden alle unter der Arbeitsverdichtung. Es geht also nicht nur um einen Tarifvertrag für uns.

Wie viel Unterstützung habt ihr in der Belegschaft?

Jeannine: Sehr viel. Das Thema ist in aller Munde und es gibt in der Krise ohnehin einen besonderen Zusammenhalt. Wir sind im ständigen Austausch mit den einzelnen Teams und bauen eine breite Aktivenstruktur auf, unterstützt von professionellen Organizer*innen, die uns ver.di zur Verfügung stellt. Wir wollen in jedem einzelnen Bereich einen Prozess in Gang bringen, damit wir den Konflikt bis zum Ende durchstehen können und sich alle mit dem Ergebnis identifizieren. Deshalb stellen die Teams eigene Forderungen auf und wählen eigene »Teamdelegierte«. Die Delegierten treffen sich regelmäßig mit der ver.di-Tarifkommission und entscheiden über den Verlauf der Verhandlung mit.

Daniel, wie kann eure Unterstützung der Streiks hier vor Ort konkret aussehen?

Daniel: In Berlin vernetzen wir uns gerade als LINKE-Basisgruppen und mobilisieren unsere Mitglieder für eine große Unterstützer*innenversammlung. Ein wichtiger Ansatz sind Patenschaften von lokalen Gruppen mit Beschäftigten vor Ort. Sie würden uns über ihren Kampf berichten und wir würden sie unterstützen, indem wir an ihren Kundgebungen teilnehmen, in unseren Kiezen plakatieren oder den Konflikt beim Haustürwahlkampf thematisieren. Wir wollen dazu beitragen, ihre Anliegen in die breitere Öffentlichkeit und die Partei zu tragen. Langfristig wollen wir natürlich, dass die LINKE noch stärker zu einer Organisation von betrieblich Aktiven wird. Wenn Beschäftigte sagen, ich bin nicht nur bei ver.di, ich werde auch Mitglied der LINKEN, haben wir einiges erreicht.

Was erwartet ihr denn als Beschäftigte?

Jeannine: Uns ist wichtig, dass Verbündete nicht nur einmalig ihre Solidarität erklären, sondern nachhaltig und aktiv an unserer Seite sind. Das ist besonders wichtig, wenn die Verhandlungen steckenbleiben. Wenn die Zusammenarbeit auf Augenhöhe läuft und unsere Expertise anerkannt wird, ist das wunderbar und hilft uns sehr. Mit der LINKEN haben wir schon beim Stimmensammeln für das Volksbegehren zusammengearbeitet und es hat sich ein Vertrauensverhältnis entwickelt.

Daniel: Auch für uns ist der Austausch enorm wichtig. Wir bekommen einen direkten Draht zu den betrieblichen Kämpfen. Und unsere Mitglieder können sich auch abseits von Wahlkämpfen politisch betätigen, wie sie es ja auch jetzt schon oft tun. Ich sehe die Krankenhausbewegung als große Chance, ein solches Parteiverständnis nachhaltig zu etablieren. Die LINKE braucht eine starke Verankerung in den Bewegungen, ein Umfeld, das uns antreibt und uns hilft, unser Profil zu schärfen.

Es bleibt der Spagat, in Berlin Teil der Bewegung und zugleich der Regierung zu sein.

Daniel: Wir wissen aus Erfahrung, dass es nicht ausreicht, ein Thema nur im Wahlkampf aufzugreifen und dann in Parlament oder Regierung zu repräsentieren. Ein gutes Programm muss auch umgesetzt werden und dafür braucht es viel Druck. Den erzeugen wir nicht, wenn wir die Auseinandersetzung als Koalitionsangelegenheit hinter verschlossenen Türen verhandeln. Wir müssen sie als Brennpunkt eines gesellschaftlichen Konflikts verstehen. Dann könnten wir viel stärker auftreten, weil wir nicht nur für uns, sondern für viele organisierte Beschäftigte in unserem Rücken sprechen.

Klingt gut, aber wie gelingt das?

Daniel: Die Mietenpolitik hat gezeigt, dass es gehen kann. Hier ist inzwischen allen klar, dass das Wechselspiel zwischen Partei und Bewegung unabdingbar ist. Dass der Mietendeckel in Berlin zeitweise durchgesetzt werden konnte, hatten wir nicht allein der Entschlossenheit einzelner Amtsträger*innen, sondern dem permanenten Protest der Bewegungen zu verdanken. Heute denkt niemand mehr, der Mietenwahnsinn wäre das Problem einzelner Hausgemeinschaften. Es gibt eine breite gesellschaftliche Politisierung – die wünsche ich mir auch im Gesundheitsbereich.

Wagen wir ein Gedankenexperiment: Ihr schaut im Herbst 2021 auf den Kampagnensommer zurück – was habt ihr erreicht?

Jeannine: Wir haben einen extrem starken Tarifvertrag abgeschlossen mit hammermäßigen Personalvorgaben für jeden Bereich. Wir haben es zum ersten Mal geschafft, dass auch alle anderen Berufsgruppen im Krankenhaus mehr Aufmerksamkeit erhalten. Als große Gruppe der Gesundheitsberufe haben wir ein neues Selbstbewusstsein gewonnen und spüren das auch in der Zusammenarbeit im Alltag. Und außerdem steht endlich die Abschaffung der Fallpauschalen auf der politischen Agenda.

Daniel: Genau, mit der Abschaffung der Fallpauschalen hätten wir die Profitorientierung im Gesundheitswesen endlich ein Stück zurückgedrängt. Die Rekommunalisierung aller Krankenhäuser wäre dann der nächste Schritt und würde in jeder Talkshow rauf- und runterdiskutiert. Die LINKE würde es schaffen, die weit verbreitete Kritik am profitorientierten Gesundheitswesen aufzugreifen und zuzuspitzen. Damit würden wir gesellschaftlich endlich in die Offensive kommen.

Das Gespräch führten Fanni Stolz und Hannah Schurian.

Jeannine Sturm ist Pflegekraft am Virchow-Klinikum der Charité in Berlin-Wedding und aktiv in der ver.di-Betriebsgruppe sowie Mitglied der ver.di-Tarifkommission und des Bündnisses »Gesundheit statt Profite«.

Daniel Schur ist unter anderem in der LINKEN-Basisorganisation LEO in Berlin-Wedding und in der Bündnisarbeit für die Krankenhausbewegung aktiv.

Ursprünglich veröffentlicht auf: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/gemeinsam-druck-machen

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In den Krankenhäusern zeigt sich, was passiert, wenn man die öffentliche Daseinsvorsorge nach dem Profitprinzip organisiert. Wegen des verfehlten Finanzierungssystems im Krankenhaus wird am Personal gespart, wodurch die Arbeitsbedingungen schlechter und die Personalnot größer werden. Dies gefährdet wiederum die sichere Versorgung von Patient*innen. Vivantes und Charité, die beiden größten öffentlichen Krankenhäuser in Berlin, starteten deshalb 2021 eine neue Tarifbewegung.

Um das System zu verändern, braucht es aber auch jenseits des Betriebs politischen Druck und eine breite gesellschaftliche Politisierung im Gesundheitsbereich. Dies erklären Jeannine Sturm, Pflegekraft am Virchow-Klinikum der Charité in Berlin-Wedding, und Daniel Schur, aktiv in der LINKEN-Basisorganisation LEO in Berlin-Wedding, im Interview. Sie zeigen auf, wie solidarische Unterstützung und erfolgreiche Bündnisarbeit zwischen Beschäftigten, Partei und Bewegung aussehen kann.

„Profite pflegen keine Menschen“ – Protest für bessere Bedingungen im Gesundheitswesen, 17. Juni 2020, Berlin. Foto: Leonhard Lenz / Wikimedia Commons / CC0

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Das Berliner Mobilitätsgesetz gilt bundesweit als Vorbild. Es räumt Bus und Bahn, Rad- und Fußverkehr klaren Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr ein und formuliert dafür zahlreiche Maßnahmen. Doch die Umsetzung kommt nicht voran.

Hendrik Sander präsentiert die Debatten um Autogesellschaft, neue Mobilitätsdienstleistungen und Verkehrswende sowie empirische Erkenntnisse zur Mobilitätsungerechtigkeit in Deutschland und Berlin. Außerdem werden die Entstehungsgeschichte und Inhalte des Mobilitätsgesetzes vorgestellt. Im Hauptteil werden die zentralen Konfliktpunkte der Berliner Verkehrswende in den Feldern öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), Rad- und Fußverkehr sowie motorisierter Individualverkehr nachgezeichnet und am Beispiel besonders umkämpfter Kieze veranschaulicht. Abschließend analysiert er politische Potenziale und Widerstände gegen die Berliner Mobilitätswende. Und es werden strategische Empfehlungen formuliert, wie sich die Blockaden überwinden ließen.

Foto: Nikita Pishchugin / Unsplash

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Tarifrunde im ÖPNV

Was verbindet Beschäftigte und Klimabewegung?

Mai 2020 • Gespräch mit Lara Zschiesche und Erdoğan Kaya

Klimastreik Leipzig #fridaysforfuture. Foto: hybrid-moment / flickr / CC BY-NC 2.0

Klimastreik Leipzig #fridaysforfuture. Foto: hybrid-moment / flickr / CC BY-NC 2.0

Mobilität, Gewerkschaft, Organisierung, Berlin#Mobilität #Gewerkschaft #Organisierung #Berlin

Fridays for Future sind seit Monaten aktiv, aber wenn man das Klimapaket anschaut, habt ihr noch nicht so richtig was erreicht, oder?

Lara: Das ist zwiespältig. Ich denke schon, dass wir eine Diskursverschiebung in der Gesellschaft erreicht haben. Wir haben das Thema Klimawandel ganz oben auf die politische Agenda gesetzt, das ist nicht nichts. Aber es stimmt: Von den konkreten Forderungen wurde bisher keine umgesetzt. Obwohl im September 1,4 Millionen Menschen bei den Demonstrationen zum globalen Klimastreik waren.

Wie soll es weitergehen?

Lara: Es gibt jetzt unterschiedliche Ansätze. Der Kohleausstieg bleibt zentral, zum Beispiel mit Protesten gegen das Kohlekraftwerk Datteln 4. Ein wichtiger Fokus liegt aber auch auf der Mobilitätswende. Der Verkehrsbereich ist der drittgrößte Emissionssektor in Deutschland und der einzige, in dem der CO2-Ausstoß in den letzten 20 Jahren zugenommen hat. Im Klimapaket kommt er kaum vor. Außerdem zeigt sich hier deutlich, wie sehr die Klimafrage mit sozialen Fragen verknüpft ist. Ursprünglich waren Kontakte zu Beschäftigten oder Gewerkschaften kein Thema für Fridays for Future. Aber schon beim globalen Klimastreik im September 2019 gab es die Idee einer Vernetzung, die über Studierende und Schüler*innen hinausgeht. Daher der Hashtag #allefürsklima. Es passt perfekt, dass mit der Tarifrunde in Nahverkehr im Sommer eine Auseinandersetzung bevorsteht, an die wir anknüpfen können.

Ihr habt bei der BVG letztes Jahr erfolgreich für mehr Lohn gestreikt, wieso schon wieder eine Tarifrunde?

Erdoğan: Diesmal geht es nicht um die Löhne, sondern um Forderungen zu Urlaub, Zuschlägen sowie zu Ruhe- und Wendezeiten. Unsere Arbeitsbedingungen haben sich extrem verschlechtert. Die Ruhezeiten zwischen den Diensten sind kürzer und die Dienste länger geworden, der Stress nimmt zu, Kolleg*innen werden anfällig, Erkrankungen häufen sich. Auch die Wendezeiten, also die Zeiten, in denen wir an den Endhaltestellen unsere Pausen machen, werden immer kürzer. Die Toiletten sind oft weit entfernt, sodass es teils schwierig ist, zwischen den Fahrten mal aufs Klo zu gehen. Die sanitären Anlagen und die Pausenräume sind außerdem in einem unwürdigen Zustand. Außerdem klopfen immer wieder Fahrgäste an die Tür klopfen und bitten um Auskunft. Da ist keine Entspannung möglich. Die Zustände sind bundesweit ähnlich.

Wie sieht es mit dem Leben jenseits der Arbeit aus? Ihr fahrt ja auch am Wochenende und in der Nacht.

Erdoğan: Ja, außerdem haben wir oft lange Dienste, bis zu 14 Stunden. Ein Tag hat aber nur 24 Stunden. Wir haben wenig Zeit für Familie, Freunde, Schlaf und Ernährung. Das macht auf Dauer krank.

Ein 14-stündiger Dienst?

Erdoğan: Wir haben geteilte Dienste. Zwischen den beiden Teilen liegen mehrere Stunden, die aber nicht bezahlt werden. Du stehst dem Unternehmen also 14 Stunden zur Verfügung, wirst aber nur für die reine Dienstzeit bezahlt. Früher war der Tageszuschlag dafür 18 Mark – dem würden heute 9 Euro entsprechen. Tatsächlich bekommen wir aber nur 2 Euro. Das ist ungerecht und sehr belastend.

Lara: Solche Bedingungen machen den Job extrem unattraktiv. Das ist auch ein Grund, warum wir diese Tarifrunde wichtig finden: Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen entscheiden sich immer weniger junge Leute für eine Ausbildung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Ohne Beschäftigte wird es jedoch keine Verkehrswende geben.

Ihr seid aus Berlin, die Auseinandersetzung findet aber bundesweit statt, oder?

Erdoğan: Aktuell gibt es 15 verschiedene Tarifverträge in über 100 kommunalen Verkehrsbetrieben. Die laufen alle zum 30. Juni aus, dann steigen wir in die Tarifverhandlungen ein. Unser Ziel ist es, bundesweit zu einheitlichen Standards zu kommen und wieder mehr gemeinsam zu kämpfen. Nur so werden wir stärker. In Berlin geht es außerdem um Arbeitszeiten – in einer Umfrage haben sich unsere Kolleg*innen 2018 für eine Arbeitszeitverkürzung ausgesprochen.

Wie ist es zu dieser Aufsplitterung der Tarifverträge gekommen?

Erdoğan: Ursprünglich war der öffentliche Nahverkehr Teil des Flächentarifvertrags des öffentlichen Dienstes. Um Kosten zu sparen, wurden Anfang der 2000er Jahre einzelne Bereiche aus dem Flächentarif herausgebrochen. Der personalintensive und damit teure Verkehrsbereich gehörte dazu. Jetzt haben wir diese zersplitterten Tarife und die einzelnen Verkehrsunternehmen versuchen, uns gegeneinander auszuspielen. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben!

Welche Rolle spielen Privatisierungen?

Erdoğan: Bei den privaten Verkehrsbetrieben sind die Arbeitsbedingungen und Löhne noch schlechter. Das übt Druck auf die Kommunalen aus, und Privatisierung ist eine ständige Bedrohung. Aus Angst davor haben wir 2005 bei der BVG einen Absenkungstarifvertrag verhandelt und darin freiwillig auf Geld und auf Rechte verzichtet. So ähnlich ist es überall gelaufen.

Wie könnte sich Fridays for Future in die Tarifrunde einbringen?

Lara: Die Klimabewegung bringt den gesellschaftlichen Rückhalt mit, den die Streikenden im ÖPNV oft nicht haben. Wir kennen das: Am ersten Tag findet ein Streik Zustimmung – die Leute unterstützen die Forderung nach höheren Löhnen. Am zweiten Tag ärgern sie sich aber schon, wenn ihr Bus nicht kommt. Deshalb wollen wir uns mit den Beschäftigten solidarisieren, um ihnen den Rücken zu stärken und gleichzeitig den Fokus aufs Klima zu legen: Eine Mobilitätswende wird es nur geben, wenn der ÖPNV massiv ausgebaut wird.

Erdoğan: Ja, wir haben viele Überschneidungen mit den Forderungen der Klimabewegung. Ein Doppeldeckerbus kann bis zu 100 Autos ersetzen. Viele Kolleg*innen sehen das genauso, weshalb es auf regionaler und auch auf Bundesebene Verbindungen zu Fridays for Future gibt. Am 20. September haben wir uns mit 100 Kolleg*innen von der BVG und auch bundesweit am Klimastreik beteiligt. Die Zusammenarbeit wollen wir ausbauen.

Was fordert ihr konkret?

Lara: Der Individualverkehr muss zurückgedrängt werden, und das geht nur durch einen Ausbau des ÖPNV. Damit ist aber zwangsläufig die Frage der Finanzierung verknüpft. Ich denke, wir brauchen eine Unternehmensabgabe, um die Konzerne an den Kosten für öffentliches Fahren zu beteiligen. In Frankreich funktioniert ein ticketloser ÖPNV durch Unternehmensabgaben schon in über 20 Verkehrsverbünden. Langfristig sollte der ÖPNV natürlich zum Nulltarif sein.

Die Kommunen sind oft klamm. Sie müssen abwägen, welche Aufgabenbereiche sie finanziell besser ausstatten.

Erdoğan: Ein Problem ist, dass der ÖPNV im Klimapaket der Bundesregierung leer ausgegangen ist. In der Berliner Landesregierung besteht durchaus Interesse, den ÖPNV auszubauen und besser zu finanzieren. Aber die Umsetzung lässt zu wünschen übrig. 2019 haben wir mit ver.di einen guten Tarifabschluss erreicht, der den Betrieb logischerweise Geld kostet. Die ursprünglichen Versprechungen hat der Senat dann aber doch zurückgezogen. Jetzt ist unklar, ob und wie die BVG an anderen Stellen sparen kann, um die höheren Löhne zu zahlen.In Berlin sieht man die Verheerungen der Schuldenbremse, die bricht den Kommunen das Genick. Letztlich müsste die Finanzierung auch über eine stärkere Besteuerung der Reichen geregelt werden. Mit dieser Bundesregierung stehen aber weder Vermögenssteuer noch andere Möglichkeiten auf der Tagesordnung. Wir sind ein reiches Land. Geld ist da – es ist nur nicht gerecht verteilt. Da müssen wir ran.

Lara: Ja, Geld ist vorhanden! Es muss anders verteilt werden. Zum Beispiel sollten wir aufhören, weiterhin fossile Energien oder konkret die Autoindustrie zu subventionieren. Aktuell wird mit massiven Steuer¬vorteilen der Kauf von luxuriösen Dienstwagen angekurbelt, die einen hohen Ausstoß haben. Ganz zu schweigen vom Straßenbau, in den irre viel öffentliches Geld gesteckt wird, ganz im Gegensatz zu Schienen – die werden vielerorts sogar abgebaut. Skandalös ist auch, dass die Autokonzerne davon ausgehen, dass die Ladeinfrastruktur, die für einen Umstieg auf E-Mobilität nötig ist, aus Steuermitteln finanziert wird. Hier droht eine ökologisch sehr zweifelhafte Technologie viel Geld zu verschlingen, das für den Ausbau des ÖPNV dringend gebraucht würde.

Das geht ja über Tarifverhandlungen hinaus. Wie wollt ihr hierfür den nötigen politischen Druck aufbauen?

Erdoğan: Wir brauchen eine Bewegung, die weit über ver.di hinausgeht. Auch die anderen Gewerkschaften müssen sich beteiligen und die Zivilgesellschaft. Deshalb ist die Klimabewegung so ein wichtiger Partner.

Lara: Ja, für die Mobilitätswende bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Allianz aus Gewerkschaften, Klimabewegung, NGOs und linken Parteien. In Bezug auf die Gewerkschaften läuft da schon vieles. Ende Februar hatten wir ein Treffen mit etwa 100 Teilnehmer*innen von Fridays for Future und jüngeren Kolleg*innen von ver.di, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der IG Metall. Es wurde klar: Viele Gewerkschafter*innen – besonders im Verkehrssektor – machen sich für die Verkehrswende stark. Wenn die Tarifauseinandersetzung näher rückt, überlegen wir, einen Freitagsstreik unter das Motto Verkehrswende zu stellen und gemeinsam mit Gewerkschaftskolleg*innen zu demonstrieren.

Aber es gibt ja auch Widersprüche. Bei der Forderung nach einem Nulltarif zum Beispiel haben Beschäftigte Angst, dass noch weniger Leute eingestellt werden und sich die Arbeit weiter verdichtet.

Erdoğan: Es gibt auch kritische Stimmen zur Bewegung. Wir unterstützen die Klimabewegung nicht zu 100 Prozent. Aber wir diskutieren über ihre Positionen im Betrieb. Und wir sehen, dass die jungen Menschen in der Klimabewegung nicht nur an ihre eigene, sondern auch an unsere Zukunft denken. Es gibt immer auch diejenigen, die weiterhin glauben, dass Klimabewegung und Gewerkschaft keine gemeinsamen Interessen haben. Vielleicht ändert sich das im Laufe des nächsten Jahres ja noch.

Lara: Ja, die Ängste gibt es. Wir müssen deutlich machen, dass wir eine ökologische und sozial gerechte Mobilitätswende wollen. Für uns ist zentral, dass die Beschäftigten die Klimabewegung nicht als Gegner begreifen, sondern wir zusammen für den Erhalt unseres Planeten kämpfen. Für uns ist klar, ein Nulltarif darf nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen. Das geht nur, wenn wir die Forderung nach Klimaneutralität mit der nach finanzieller Absicherung – also nach gesellschaftlicher Umverteilung – verbinden. Und es hängt davon ab, ob wir so viel Druck entfalten können, dass ein echter gesellschaftlicher Umbau in den Blick kommt – nicht nur eine »Antriebswende«. Mit Schuldenbremse und den derzeitigen Steuerkonzepten, das hat Erdoğan ja schon gesagt, wird es nicht gehen.

Lara Zschiesche studiert an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist bei Students for Future aktiv, der Uni-Sektion von Fridays for Future.

Erdoğan Kaya ist Personalrat und Mitglied der Tarifkommission der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG).

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Ursprünglich veröffentlicht auf: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/gespraech-tarifrunde-im-oepnv-was-verbindet-beschaeftigte-und-klimabewegung

Foto: hybrid-moment / flickr / https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

#Mobilität #Gewerkschaft #Organisierung #Berlin

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Im Interview sprechen Lara Zschiesche, aktiv bei Students for Future, und Erdoğan Kaya, Personalrat bei der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), über gemeinsame Forderungen von Gewerkschaft und Klimabewegung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Das Gespräch zeigt auf, wie sich Kämpfe solidarisch miteinander verbinden lassen und warum dies für eine klima- und sozialgerechte Verkehrswende notwendig ist.

Klimastreik Leipzig #fridaysforfuture. Foto: hybrid-moment / flickr / CC BY-NC 2.0

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Eine Aufnahme von Schutzsuchenden aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat durch die Bundesländer ist zulässig. Zu diesem Ergebnis kommt ein aktuelles von der Rosa-Luxemburg-Stiftung beauftragtes Rechtsgutachten zur «Aufnahme von Schutzsuchenden durch die Bundesländer».

Die Bundesländer hätten gemäß § 23 Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes die Möglichkeit, allein oder in Koordination miteinander Programme zur Aufnahme von Geflüchteten aufsetzen. Das Bundesinnenministerium (BMI) dürfe in dem erforderlichen Zustimmungsprozess lediglich einen äußersten rechtlichen Rahmen für die ansonsten freie politische Entscheidung der Länder abstecken. Bei einer mutmaßlich rechtswidrigen Ablehnung durch das BMI könnte das betroffene Land das Bundesverwaltungsgericht anrufen.

Foto: Julie Ricard / Unsplash

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»Mehr als Abwesenheit von Krankheit...«

Über Lokale Gesundheitszentren als Orte politischer Praxis

April 2016 • Hannah Schurian im Gespräch mit dem Gesundheitskolletiv

Foto: Rosa-Luxemburg-Stiftung / flickr / CC BY 2.0

Foto: Rosa-Luxemburg-Stiftung / flickr / CC BY 2.0

Krankenhaus, Alternativen, Selbstverwaltung, Berlin#Krankenhaus #Alternativen #Selbstverwaltung #Berlin

Wie ist eure Idee für ein Gesundheitskollektiv entstanden? Was war die Kritik am laufenden Versorgungssystem?

Wir sind eine Gruppe von Menschen in Gesundheits- und sozialen Berufen – u.a. ÄrztInnen, TherapeutInnen, Pflegekräfte, Pädagogen, Sozialarbeiter – aus Hamburg und Berlin, die sich seit zirka fünf Jahren für das Projekt engagieren. Der Ausgangspunkt war die Kritik an der unzureichenden ambulanten Versorgung von Menschen ohne Papiere. Das brachte einige Aktive aus dem Medibüro Hamburg dazu, sich mit weitergehenden Fragen zu beschäftigen: Wie sieht eine gute Gesundheitsversorgung für alle Menschen, unabhängig vom Versicherungsstatus aus? Wie müssen sich die gesellschaftlichen Voraussetzungen für Gesundheit verändern? Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und aus dem Public Health-Bereich haben längst gezeigt, dass Lebens- und Arbeitsbedingungen langfristig entscheidender für die Gesundheit sind als die medizinische Versorgung – und das Gesundheit wesentlich mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit.

Im herrschenden System wird das aber völlig ausgeblendet. Hier sieht man oft den Wald vor lauter Bäumen nicht. Es gibt eine starke Orientierung auf ‚Krankheit’: der Mensch wird aus seinem sozialen Zusammenhang gelöst und in Einzeldiagnosen zergliedert. Fatal ist die ökonomische und sogar profitorientierte Ausrichtung der medizinischen Versorgung. Das führt nicht nur dazu, dass beispielsweise medizinische Studien pharmafinanziert und folglich nicht unabhängig sind; auch Pflege und medizinische Behandlung werden zunehmend der Effizienzlogik und dem Ziel der Kostensenkung unterworfen. In der ambulanten Versorgung ist die Zersplitterung ein Problem: statt einer interdisziplinären Zusammenarbeit herrscht das unternehmerische Kalkül der einzelnen Fachärzte vor.

Vor diesem Hintergrund hat sich in Hamburg das Projekt Poliklinik gebildet. In enger Anlehnung an dieses Projekt haben wir vor zwei Jahren dann das Gesundheitskollektiv Berlin gegründet. Wir wollten die Gesamtheit der sozialen Determinanten der Gesundheit in den Blick nehmen und konkrete Alternativen aufzeigen.

Inwiefern lassen sich denn diese sozialen Determinanten in einem Projekt wie eurem beeinflussen?

Vorneweg: Der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geprägte Begriff »Soziale Determinanten der Gesundheit« ist ziemlich sperrig. Damit gemeint sind ganz einfach alle Bedingungen, in die ein Mensch hineingeboren wird und die das Leben ausmachen: die Stadt, die sozialen Netzwerke, die Kultur- Bildungsmöglichkeiten, die Arbeits- und Umweltbedingungen und die Existenzsicherheit. Entsprechend sind die sogenannten »Gesundheitschancen« bei sozial ausgegrenzten Menschen besonders niedrig. Das zu ändern, ist kompliziert: die Gesamtheit der gesellschaftlichen Strukturen lässt sich von uns nicht so einfach umkrempeln. Lokale Verhältnisse wie Verkehrsbeeinträchtigungen oder Mietsteigerungen können wir aber sehr wohl konkret aufgreifen. Hier kann die politische Arbeit im Stadtteil ein Anfang sein, um sich über die Kommune hinaus zu vernetzen und langfristig die Bedingungen für Gesundheit zu verbessern. Wir können zudem die Ressourcen der Menschen stärken, indem wir ihre sozialen Netzwerke, ihre Möglichkeiten von Selbstorganisierung und Widerstand fördern.

Und wie soll die Arbeit des Gesundheitszentrums konkret aussehen?

Unser zentrales Anliegen ist es die Menschen im Stadtteil – neben einer sehr guten medizinischen Versorgung – auch durch politische und soziale Arbeit sowie durch Beratung und partizipative Forschung zu begleiten. Die Krankenversorgung und Pflege soll sich an den Interessen der Nutzer_innen orientieren und für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sein – unabhängig davon, ob sie privat, gesetzlich, oder nicht versichert, ob sie illegalisiert oder asylsuchend sind. Wir begreifen die Menschen als Teil ihres sozialen Netzes und ihrer Umwelt und wollen sie dementsprechend beraten.

Wichtige Impulse liefern uns gut funktionierende Gesundheitszentren in Österreich, Belgien, Kanada oder Finnland, aber auch die spendenbasierten solidarischen Kliniken in Griechenland. Wir denken, dass politische Teilhabe und Selbstorganisierung im Gesundheitswesen möglich und notwendig sind. Konkret würde das bedeuten, dass unser Zentrum ein selbstverständlicher Teil des Stadtteils ist, eine Anlaufstelle, wo die Menschen gerne hingehen: um die Rechtsberatung oder die Behandlungsangebote aufzusuchen, um sich in selbstorganisierten Gruppen zu treffen oder einfach nur Kaffee zu trinken. Die Bedürfnisse der NutzerInnen und StadtteilbewohnerInnen sind der Ausgangspunkt, um gemeinsam ihre Lebensumstände zu verbessern.

Wie soll das Zentrum intern organisiert sein: was sind Beteiligungsmöglichkeiten von PatientInnen und AnwohnerInnen?

Wie haben uns eine kollektive Struktur gegeben, um gleichberechtigt im Team zu entscheiden, ohne Chef oder Chefin. Die PatientInnen sollen sich aktiv einbringen und das Gesundheitskollektiv als Beraterin wahrnehmen, die Optionen eröffnet und Möglichkeiten darlegt. Dafür gibt es zum Beispiel regelmäßige gemeinsame Fallbesprechungen, nicht nur zu medizinischen Fragestellungen, sondern auch zu sozialen Themen. Darüber hinaus wollen wir die Menschen aus dem Stadtteil durch ein offenes Plenum einbeziehen und die Entscheidungen des Zentrums gemeinsam mit ihnen treffen. Das betrifft auch schon den Planungsprozess: Wir wünschen uns einen »bottom-up«-Prozess und wollen die Menschen in die Entwicklung des Konzepts einbinden, u.a. durch eine Sozialraumanalyse, Ideenwerkstätten und öffentliche Veranstaltungen. Sie sollen das Projekt als ihr eigenes begreifen und mitgestalten – es geht darum, das Gesundheitssystem als Gemeingut, als common, zu entwickeln. Das wird sicher nicht einfach: echte Beteiligung zu organisieren wird eine der größten Herausforderungen. Das wird nur gehen, wenn wir alle das Zentrum als Lernprozess und Lernort verstehen. Damit das gelingt, braucht es viel Zeit und selbstverständlich auch eine stabile Finanzierung.

Und wie weit seid ihr in der Planung? Wo findet ihr politisch oder finanziell Unterstützung?

Der Schritt von der Theorie zur Praxis steht sowohl in Berlin als auch in Hamburg noch bevor. Wir sind mitten in der Konzeptentwicklung, und müssen viele offene Fragen klären. Für einige Aufgaben, die die Kräfte ehrenamtlicher Arbeit deutlich übersteigen, konnten wir finanzielle Mittel von einer Stiftung einwerben und eine feste Stelle einrichten. Politisch suchen wir die Verbindung zu Gruppen im Kiez, aber auch zu wissenschaftlichen und sozialen Akteuren, die uns in diesem Prozess begleiten wollen. Das ist uns wichtig, um die weitergehenden politischen Perspektiven im Blick zu behalten.

Das wäre die nächste Frage: So ein Zentrum ist ja gewissermaßen eine Parallelwelt im bestehenden System. Unter welchen Bedingungen ließen sich solche Zentren verallgemeinern?

Es besteht theoretisch die Gefahr, dass wir zu einer kleinen ‚Insel’ im Gesundheitswesen werden. Das passiert, wenn wir mit der konkreten Arbeit so ausgelastet sind, dass wir den Blick über den eigenen Tellerrand nicht mehr schaffen. Hier wollen wir bewusst gegensteuern, indem wir uns von Anfang an als Teil eines politischen Netzwerks verstehen – als eine Art »Poliklinik-Syndikat«. Was das genau bedeuten kann, müssen wir noch weiter entwickeln. Wir sind verwurzelt in verschiedenen linken Gruppen sowie dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää), aber auch in internationalen sozialen Bewegungen wie dem People's Health Movement. Zudem haben wir uns über die letzten Jahre ein Netzwerk mit anderen Projekten in Europa aufgebaut, die zum Teil schon seit Jahrzehnten vergleichbare Arbeit leisten. Wir denken, das sind gute Voraussetzungen, um wirkliche Veränderungen anzustoßen und Gesundheit neu zu denken: als ein Teil des guten Lebens für Alle.

Diskutiert ihr schon über konkrete Standorte? Die Auswahl des Stadtteils wird ja einen großen Einfluss darauf haben, mit welchen Menschen und Anliegen ihr zu tun habt.

Es geht uns darum, gezielt benachteiligte Stadtteile zu unterstützen. Prekäre Lebensumstände und Probleme bei der Gesundheitsversorgung sind ausschlaggebend. So wollen wir in Berlin die Standortfrage idealerweise daran ausrichten, welche Regionen laut Sozialstrukturatlas unterversorgt sind. Allerdings ist es im Moment bekanntlich sehr zermürbend, Häuser und Wohnungen in der Großstadt zu finden. So sind wir schon von Beginn an gezwungen, die Planung auch mit Themen und Aktionen rund um ein »Recht auf Stadt« zu verknüpfen. Wir wollen auf keinen Fall wie ein Ufo in einem Kiez landen und den Menschen ihre begrenzten Freiräume wegnehmen. Stattdessen wollen wir Räume und Infrastrukturen schaffen, die für alle nutzbar sind und die NachbarInnen solidarisch in ihren Kämpfen, etwa um Wohnraum, unterstützen. In Berlin wird es erfreulicherweise immer wahrscheinlicher, dass wir unser Projekt im Rollbergkiez in Neukölln starten können. Unsere Utopie nimmt also langsam Form an!

Weitere Informationen zum Projekt:

Schubert, Kirsten und Renia Vagkopoulou, 2015: Futuring Health Care – Gesundheitszentren als Orte gesellschaftlicher Transformation, in: Fried, Barbara/Schurian, Hannah (Hg.), UmCare – Gesundheit und Pflege neu organisieren, Rosa-Luxemburg-Stiftung Materialien 13/2015, 41-53.

Webseite des Projekts: www.geko-berlin.de

Ursprünglich veröffentlicht auf: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/interview-mehr-als-abwesenheit-von-krankheit

#Krankenhaus #Alternativen #Selbstverwaltung #Berlin

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Das Gesundheitskollektiv ist Teil eines Netzwerks, das in Berlin und Hamburg alternative Gesundheits- und Sozialzentren aufbaut. Sie sollen im Stadtteil eine gesundheitliche Versorgung frei von Profitinteressen ermöglichen, die berufsübergreifend und basisdemokratisch organisiert ist. Nicht nur die medizinische Versorgung und individuelle Verhaltensweisen stehen hier im Mittelpunkt, sondern die gesellschaftlichen Bedingungen von Gesundheit – von der lokalen bis zur globalen Ebene.

Im Interview mit Hannah Schurian erzählt das Kollektiv, was ihre Motivation ist, wie die Arbeit im Gesundheitszentrum aussehen soll und wie die Umsetzungspläne sind.

Foto: Rosa-Luxemburg-Stiftung / flickr / CC BY 2.0

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Wie groß das Problem mit mangelndem Wohnraum und Obdachlosigkeit in Berlin ist, wird sich in der «Nacht der Solidarität» in Zahlen zeigen. Steigende Mieten, strukturelle Wohnungsprobleme und Zwangsräumungen stehen in einem direkten Zusammenhang mit den Menschen, die auf Berlins Straßen leben. Obdach- und Wohnungslosigkeit sind dabei unterschiedliche Phänomene, deren Behandlung in der öffentlichen Debatte und im gesellschaftlichen Leben jedoch ähnlich ist: Man schaut in der Regel weg. Doch die Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales will nun gemeinsam mit vielen Freiwilligen bewusst hinschauen, genauer gesagt zählen. Dies kann ein bedeutsamer Schritt für eine angemessenere Wohnungslosenhilfe und -politik sein, darf aber nicht getrennt werden von den Diskursen um Wohnungskrise sowie Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik in Berlin.

Bild: wal_172619 / Pixabay

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Die Initiative «Mieter*innenprotest Deutsche Wohnen» ist ein Zusammenschluss von Mieter:innen-Initiativen und einzelnen Mieter:innen aus ganz Berlin. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, sich mit den Nachbar*innen zusammenzuschließen und gemeinsam aktiv zu werden, um ihre Nachbarschaften und Kieze zu erhalten.

In dem vorliegenden Leitfaden teilen sie die Erfahrungen ihrer Organisierung und beschreiben Schritt für Schritt, was bei der Gründung einer Mieter:innen-Initiative beachtet werden sollte. Er ist für alle Kämpfe mit Vermieter:innen nutzbar, egal ob sie ein einzelnes Haus besitzen oder eine ganze Siedlung. Die AG Starthilfe des Zusammenschlusses organisiert auch Trainings, in denen Vieles von dem, was in dem Leitfaden beschreiben wird, ganz praktisch geübt werden kann.

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IIn Europa wachsen die Bewegungen der Städte des Willkommens, der Zuflucht und Solidarität. Zivilgesellschaftliche Gruppen, städtische Politiker*innen und Stadtverwaltungen widersetzen sich so den wachsenden Restriktionen europäischer und nationaler Grenz- und Migrationspolitiken. Zugleich entwickeln sie konkrete kommunale Politiken zum Schutz oder zur sozialen Inklusion von Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus. Nicht zuletzt bilden sie diskursive Gegenpole zum europaweiten Aufstieg rechter Parteien, welche die Abschottung der Grenzen sowie die Kriminalisierung von Migrant*innen vorantreiben.

Umschlag: Henning Heine

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»So funktioniert das hier nun mal« – Gespräch über Rassismus und Segregation an Berliner Schulen

Mai 2017 • Gespräch mit Juliane Karakayali und Birgit Zur Nieden

Foto: Neonbrand / Unsplash

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Migration, Anti-Rassismus, Berlin#Migration #Anti-Rassismus #Berlin

Im Sommer 2012 löste eine Meldung im Tagesspiegel heftige Diskussionen in Berlin aus. Türkische Eltern hatten an einer Berliner Grundschule gegen die Trennung der Kinder nach Herkunft protestiert. Euer Forschungsprojekt setzt an diesen Protesten an. Was sind die zentralen Ergebnisse?

Juliane Karakayali: Es gibt Berliner Schulen, an denen Kinder nach Herkunft getrennt unterrichtet werden. Meistens berichten uns Eltern davon. An den Schulen ihrer Kinder seien so gut wie keine herkunftsdeutschen Kinder, obwohl viele im Einzugsgebiet wohnten. Andere beobachten, wie sich in ihrer Schule ›Deutschenklassen‹ bilden.

Wir fragen in unserer Forschung, wie solche Trennungen institutionell verankert sind, wie sie von den Schulen vorgenommen und legitimiert werden. In diesen Prozessen spielen verschiedene Akteure und Faktoren eine Rolle: Lehrer*innen, Eltern, Schulleitung und Verwaltung sowie Einzugsgebiete und Finanzierungsfragen. Allerdings gibt es in den Schulen ein allgemeines Deutungswissen, das Kinder nach bestimmten Kriterien, eben auch Herkunftskriterien, unterscheidet. Es beinhaltet Einschätzungen etwa darüber, welche Kinder von ihren Eltern unterstützt werden, welche gute Performer und welche mögliche Störenfriede sind. Uns interessiert, ob und wie sich dieses Deutungswissen bei der Anmeldung in der Schule und der Einteilung der Klassen auswirkt. Die Berliner Schulstatistik unterteilt Schüler*innen in solche »nicht deutscher Herkunftssprache« (ndH) und nicht kategorisierte, also Kinder deutscher Herkunftssprache.

Birgit zur Nieden: In einigen Bezirken war es bis Mitte der 1990er Jahre üblich, Kinder in sogenannten Ausländerregelklassen zu beschulen. Das aktuelle Berliner Schulgesetz schreibt vor, dass nicht nach Herkunft(ssprache) getrennt unterrichtet werden soll. Eine Ausnahme gilt für Kinder, die kein oder sehr wenig Deutsch sprechen. Für sie kann eine spezielle Lerngruppe eingerichtet werden.

Mit der Abschaffung der Ausländerregelklassen wurde das Merkmal ›ndH‹ eingeführt. Wie aber die Kategorie ›ndH‹ genau definiert wird, ist oft unklar und wird von Schule zu Schule unterschiedlich gehandhabt. Zumeist werden die Eltern bei der Anmeldung ihrer Kinder an einer Grundschule aufgefordert anzugeben, ob in der Familie noch eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird. Viele Eltern haben uns gegenüber geäußert, dass sie den Begriff ›ndH‹ gar nicht kennen – da stellt sich die Frage, wie dieses Merkmal in der jeweiligen Schule vergeben wurde. Wir versuchen gerade herauszufinden, nach welchen Kriterien dies erfolgt. Je nach ndH-Anteil erhalten die Schulen spezifische Gelder für die Sprachförderung. Die Schulen haben also möglicherweise ein Interesse, den Anteil hoch zu halten. Andererseits wird dieser auf den Internetseiten der Senatsverwaltung für Bildung veröffentlicht. Eine Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) von 2012 stellt fest, dass diese Information am häufigsten abgerufen wird. Auch andere Studien sowie die Interviews, die wir mit Eltern geführt haben, legen nahe, dass der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund entscheidend für den guten oder schlechten Ruf einer Schule ist.

Gibt es Unterschiede, wie die Schulen mit dieser Situation umgehen?

JK: Ja, einige stehen offenbar unter dem Druck, die ›Mischung‹ der Kinder mit und ohne ndH an ihrer Einrichtung zu kontrollieren, etwa dann, wenn ihre ursprüngliche Klientel durch Gentrifizierung verdrängt wird und sie auch für die neu Hinzugezogenen und diejenigen, die sich die Miete noch leisten können, attraktiv sein müssen. Es gibt auch Schulen, die diesem Druck nicht ausgesetzt sind und einfach Unterricht mit den Schüler*innen machen, die da sind. Da gibt es dann sehr gute und weniger gute Beispiele. Andere wiederum arbeiten am Profil und an den Angeboten, um eine heterogene Eltern- und Schülerschaft anzuziehen. Wieder andere schließlich reagieren mit spezifischen Angeboten für bestimmte Kinder oder eher Eltern. Hier kommt es dann häufiger zu Trennungen nach Herkunft, gegen die sich die Eltern allerdings mehr und mehr zur Wehr setzen. Die Schulen versuchen, auf die Wünsche bestimmter Eltern einzugehen, die ihre Kinder in Gruppen anmelden und zusammen in einer Klasse sehen wollen. Manchmal darf sich eine solche Gruppe sogar noch die Lehrperson aussuchen. Die Schule argumentiert, dass diese Eltern beziehungsweise deren Kinder die Mischung an der Schule positiv verändern. Die Schulen versuchen also gewissermaßen der Segregation auf Ebene der Schulen mit einer Segregation auf der Ebene von Klassen zu begegnen.

Und was sagen die Eltern dazu?

BN: Es gibt viele, die diese Segregation aufgrund ihrer Herkunft – ihres ›Ausländerseins‹, wie sie es ausdrücken – erleben, obwohl sie selbst schon in Deutschland zur Schule gegangen sind. Sie sind irritiert und fühlen sich stigmatisiert. Eine Mutter schilderte uns beispielsweise, dass eine von ihr als deutsch wahrgenommene Familie, die ihr Kind an der Schule anmelden wollte, auf die auch ihre Kinder gehen, von der Schulleiterin mehrmals gewarnt wurde: Sie sollten das lieber nicht tun, denn in diese Schule gingen nur türkische und arabische Kinder. Auch andere Eltern bestätigten ähnliche Einschätzungen. Sie beobachteten etwa bei der Einschulungsfeier eine eindeutige Verteilung der Kinder auf die Klassen nach Herkunft. Solche Erlebnisse reihen sich oft in eine ganze Serie von diskriminierenden Erfahrungen ein, die sie in Institutionen in Deutschland gemacht haben. Alle befragten Eltern schilderten uns auch, dass sie das Leistungsniveau ihrer Kinder im Gegensatz zu anderen Schulen oder sogar anderen Klassen der gleichen Schule als deutlich niedriger wahrnehmen.

Können wir bei alldem von institutionellem Rassismus sprechen? Und wenn ja, in welchen Bereichen der schulischen Bildung wird Rassismus über die räumliche Segregation hinaus sichtbar?

BN: Wir verstehen unter Rassismus die Unterscheidung von Menschen entlang von (zugeschriebener) Herkunft, körperlichen Merkmalen oder Religion und eine daraus folgende diskriminierende Ungleichbehandlung. Das Bildungssystem in Deutschland ist nach wie vor sehr stark an der Vorstellung eines oder einer ›Normalschüler*in‹ ausgerichtet, welche*r der Mittelschicht angehört, in deutschen Bildungseinrichtungen sozialisiert ist und Deutsch auf einem hochsprachlichen Niveau beherrscht. Allein die Bezeichnung ›ndH‹ betont das Defizit – im Unterschied etwa zu ›mehrsprachig‹. Außerdem stellt sich die Frage, wie sinnvoll diese Unterscheidung überhaupt ist. Heterogenität wird zumeist als Herausforderung, wenn nicht sogar als etwas Störendes betrachtet. Der seit Jahrzehnten nachgewiesene geringere Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund hat etwas mit diesen Strukturen zu tun und ja, diese Strukturen können wir mit dem Begriff des institutionellen Rassismus beschreiben.

Zwar haben einzelne Schulen gute Konzepte und Umgangsweisen entwickelt. Auch die Berliner Schulpolitik hat immer wieder Maßnahmen gegen Segregation und für Inklusion angestoßen, aber das hat an den grundsätzlichen Verhältnissen bisher nichts geändert.

JK: In unserer Forschung wurden solche ausschließenden Strukturen immer wieder sichtbar und auch, wie sie in Institutionen und Organisationen produziert und reproduziert werden. Die Eltern, die wir interviewt haben, berichten auch davon, dass ihre Kinder vielfältige Erfahrungen mit Kulturalisierungen machen. Wenn Kinder oder Familien Bedürfnisse oder Interessen formulieren, dann werden diese teils abgewehrt mit der Begründung, das störe sonst den Regelablauf, nach dem Motto »so funktioniert das hier nun mal«. Schüler*innen werden oft gar nicht als Individuen wahr und ernst genommen, sondern nur als Teil einer Gruppe, beispielsweise der Muslim*innen oder der Ausländer*innen. Konflikte, die aus dem Verhältnis von Lehrer*innen und Schüler*innen resultieren, werden als Kulturkonflikte interpretiert. Viele Eltern nehmen das so wahr, dass ihre Kinder vor allem diszipliniert werden, statt guten Unterricht zu erhalten. Eigentlich aber sollten Schulen migrationspädagogisch wirken, statt Spaltungen selbst hervorzurufen oder zu zementieren.

In einer jüngeren Forschung habt ihr auch sogenannte Willkommensklassen untersucht. Zu welchen Ergebnissen seid ihr hier gekommen?

JK: Der Unterricht für die neu zugewanderten Kinder ist sehr unterschiedlich. Die Form reicht von integrativ bis parallel, auch die Unterrichtsinhalte unterscheiden sich von Schule zu Schule. Ein Grund liegt darin, dass unzureichend ausgearbeitet ist, worin Ziele und Maßstäbe für die Beschulung der Neuzugewanderten eigentlich liegen. Dies zeigt sich auch in uneinheitlichen Zugangsbedingungen zu den Klassen: Hier gibt es verschiedene Wege der Zuweisung, je nach Bezirk, sowie unterschiedliche Feststellungsverfahren des Sprachstandards. Es existieren keine festgelegten Lehrmaterialien, die Praktiken der Leistungsdokumentation sind nicht geregelt und die Verfahren zum Übergang in die Regelklassen sind unklar.

Oftmals wird den Lehrkräften der Willkommensklassen die alleinige Verantwortung für diese zentralen Fragen überlassen. Eine transparente und schulübergreifende Planung und Absprache aller Lehrkräfte mit Schulleitungen, Erzieher*innen und gegebenenfalls den Eltern findet kaum statt. Häufig sind die Lehrkräfte der Willkommensklassen Quereinsteiger*innen und gehören nicht zum regulären Lehrkörper der jeweiligen Schule.

Zudem erhalten die Willkommensklassen oft nur einen Raum in einem abgelegenen Teil des Schulgebäudes oder gar in Horträumen. So entsteht an vielen der Schulen eine Art Parallelstruktur. Sie werden auch bei Planungen, Strukturabläufen oder besonderen Veranstaltungen und Ereignissen häufiger einfach ›vergessen‹. Die von uns Befragten sehen es als problematisch an, wenn die Kinder der Willkommensklassen weitgehend ohne Kontakt zu den anderen Schüler*innen der Schule bleiben: Ihnen fehle die Möglichkeit zu Austausch und gemeinsamen Aktivitäten. Nicht zuletzt werden die Kinder durch die gesonderten Klassen stärker als vermeintlich homogene und besondere Gruppe in der Schule sichtbar. Teilweise werden sie deshalb auch stigmatisiert und ihr Verhalten wird häufig kulturalisiert. Die Lehrkräfte bemühen sich oft sehr, diese Mängel auszugleichen und einen guten Unterricht zu machen. Sie scheitern aber häufig an den strukturellen Bedingungen.

BN: Unsere Untersuchung zeigt aber auch alternative Praxen. So haben sich einige Schulen entschlossen, die neu zugewanderten Kinder in Regelklassen unterzubringen und ihnen zusätzlich täglich Deutschunterricht anzubieten. An einer dieser integrativen Schulen werden die Lehrkräfte der Deutschlerngruppen zusätzlich im Regelunterricht eingesetzt. Sie unterstützen damit zum einen die neuen Schüler*innen bei Verständnis- und Verständigungsproblemen. Zum anderen gibt es dadurch eine zusätzliche Lehrkraft, von der die gesamte Klasse profitiert. Die integrativ arbeitenden Schulen haben deutlich weniger organisatorische Probleme. Die Kinder werden hier zumeist von ausgebildeten Grundschullehrer*innen unterrichtet, die gesamte Regelklasse erhält Unterstützung durch Lehrkräfte, die eine Zusatzausbildung in Deutsch als Zweitsprache haben. Die direkte Eingliederung der neu eingewanderten Kinder und Jugendlichen in die Regelklassen macht diese zudem weniger als gesonderte Gruppe sichtbar. Dies wirkt Stigmatisierungen und Kulturalisierungen entgegen.

Inwiefern lassen sich die Ergebnisse auf die gesamtdeutsche Situation übertragen?

JK: Insgesamt kann man sagen, dass die Beschulung neu zugewanderter Kinder kurzfristig und kurzsichtig geplant ist – das ist nicht nur in Berlin so. Ein historischer Blick auf den Umgang mit migrantischen Kindern im deutschen Schulsystem zeigt, dass dieser immer wieder von Vorläufigkeit, Konzeptlosigkeit und Separation geprägt war. So kann das Regelschulsystem in der bestehenden Form erhalten und vor Veränderung ›geschützt‹ werden. Anstatt die Realität der Migration und einer heterogenen Schüler- und Elternschaft in eine Gesamtstrategie der Bildungsplanung einzubeziehen, hat die deutsche Bildungspolitik immer wieder mit administrativ-organisatorischen Ad-hoc-Lösungen reagiert. Diese Ad-hoc-Lösungen bestanden meist darin, Ressourcen für die Beschulung migrantischer Kinder nur vorübergehend zu gewähren oder eben Sonderklassen einzurichten. Auch in Berlin sind diese Praktiken seit den 1970er Jahren nicht durchgehend abgeschafft worden, wie sich heute noch zeigt. Das deutsche Bildungssystem ist offenbar nicht in der Lage, Kinder flexibel zu integrieren und gemäß ihrer spezifischen Bedarfe zu fördern.

Wie würdet ihr Ansätze einer inklusiveren Beschulungspolitik skizzieren, die der post-migrantischen Realität in diesem Land gerecht würde?

BN: Es gibt inklusive Modelle und sehr gute Ideen. Migrationspädagogische Ansätze gehen von einer heterogenen, mehrsprachigen Schüler- und Elternschaft aus – wie sie in der postmigrantischen Gesellschaft real sind. In dieser Perspektive würden Kinder nicht mehr ›besondert‹, die den Normalitätsannahmen nicht entsprechen.

JK: Generell braucht es mehr Offenheit und Sensibilität gegenüber unterschiedlichen Lebenswelten und ein dynamisches Verständnis von Lernprozessen und institutionellen Gefügen. Organisatorisch bedeutet dies, dass unterschiedliche Kinder, auch Kinder mit Kriegs- und Fluchterfahrungen nicht als defizitäre Wesen wahrgenommen und kategorisiert werden, weil sie bestimmte Dinge nicht können. Vielmehr sollten sie mit ihren Potenzialen und Fähigkeiten ins Schulgeschehen eingebunden und gezielt gefördert werden.

Das sind aber letztlich Fragen, die weit über bildungs- oder schulpolitische Debatten hinausgehen und im Zentrum einer öffentlichen Debatte darum stehen müssten, wie wir eine solidarische und demokratische Migrationsgesellschaft gestalten wollen. Schule ist ja schließlich ein Ort, an dem sich übergreifende gesellschaftliche Entscheidungen niederschlagen.

Das Interview führte Stefanie Kron.

Juliane Karakayali ist Soziologin und arbeitet als Professorin an der Evangelischen Hochschule Berlin.

Birgit Zur Nieden ist Soziologin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für empirische Integrations-¬ und Migrationsforschung der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Ursprünglich veröffentlicht auf: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/so-funktioniert-das-hier-nun-mal

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Im Interview erklären die Soziologinnen Juliane Karakayali und Birgit Zur Nieden anhand ihrer Forschung, dass die Beschulung neu zugewanderter Kinder kurzfristig und kurzsichtig geplant ist. Ein historischer Blick auf den Umgang mit migrantischen Kindern im deutschen Schulsystem zeigt, dass dieser immer wieder von Vorläufigkeit, Konzeptlosigkeit und Separation geprägt war. So kann das Regelschulsystem in der bestehenden Form erhalten werden. Anstatt die Realität der Migration und einer heterogenen Schüler- und Elternschaft in eine Gesamtstrategie der Bildungsplanung einzubeziehen, hat die deutsche Bildungspolitik immer wieder mit administrativ-organisatorischen Ad-hoc-Lösungen reagiert. Diese Ad-hoc-Lösungen bestanden meist darin, Ressourcen für die Beschulung migrantischer Kinder nur vorübergehend zu gewähren oder eben Sonderklassen einzurichten. Auch in Berlin sind diese Praktiken seit den 1970er Jahren nicht durchgehend abgeschafft worden, wie sich heute noch zeigt.

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Auf der Suche nach rentablen Investments stehen Berliner Immobilien an oberster Stelle. Damit einher geht die Finanzialisierung des Immobilienmarktes. Das heißt, Techniken und Methoden aus der Finanzwelt werden auf den Immobilienmarkt angewandt. Immer öfter gehören Gebäude einer Firma, die wiederum einer Firma gehört, die vielleicht an der Börse notiert ist oder in einem Immobilienfonds liegt. Mieter:innen wissen nur, an welche Firma sie ihre Miete überweisen, aber wem sie letztendlich zufließt, verliert sich meist in einer komplexen Struktur. Auch die zuständigen Behörden wissen oft nicht, wie sie die eigentlichen Besitzer:innen eines Hauses erreichen können, wenn eine Briefkastenfirma dazwischengeschaltet ist.

Abhilfe möchte dieses Handbuch schaffen. Es soll helfen, zu beantworten: 1. Wem gehört meine Wohnung? 2. Wer verdient an meiner Miete? Wer bei der eigenen Wohnung anfängt, versteht Schritt für Schritt, wem die Stadt gehört, wer von den Privatisierungen und dem finanzialisierten Immobilienmarkt profitiert und was sich ändern muss.

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